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31.01.2011 -

Bank 2.0: Crowdfunding Interview mit Bernd Hartmann, Stabsabteilung Wirtschaftsförderung Stuttgart

Einleitung

Die Finanzierung von Gründungen und Projekten der Kultur- und Kreativwirtschaft erweist sich oftmals als schwierig. Problem: Viele Kreative haben (wie viele andere Gründerinnen und Gründer übrigens auch) für die klassischen Finanzierer zu wenig Eigenkapital und kaum bankübliche Sicherheiten anzubieten. Dazu kommt, dass Banken und Sparkassen bei Kreditverhandlungen meist einen überzeugenden Nachweis vermissen, dass ein Projekt auch wirtschaftlich ein Erfolg sein wird. 

Eine mögliche Lösung für viele Kreative auf der Suche nach Kapital: Crowdfunding. Ein Finanzierungsinstrument, dass aktuell in Deutschland sehr intensiv diskutiert wird und das im Ausland bereits erfolgreich erprobt worden ist. Es bietet u. a. die Möglichkeit, die Marktchancen für neue kulturelle und kreative Dienstleistungen und Produkte im Vorfeld zu erkunden.

Was man über das Crowdfunding wissen sollte, erläutert Bernd Hartmann. Er ist Mitarbeiter der Stabsabteilung Wirtschaftsförderung Stuttgart, die einen Überblick über neuartige Finanzierungsformen für Kreativprojekte erarbeitet hat.

Was ist Crowdfunding?

Hartmann: Crowdfunding ist - wie der Name schon sagt - die Finanzierung eines Projektes, eines Produktes oder auch einer Firma durch eine große - häufig anonyme -  Menge von Geldgebern. Die Grundidee ist, dass man aus dieser großen Menge von Personen jede um eine minimale Beteiligung bittet, um dadurch große Geldbeträge zusammenzubekommen. 

Dabei geht es vor allem um die Umsetzung von künstlerischen und kreativen Ideen oder Projekten, die oft auch auf anderen Wegen kaum finanzierbar sind, also durch Banken, Business Angels oder Venture-Capital-Geber. Der Grund dafür ist, dass die Renditeversprechen für klassische Finanzierer oft zu gering sind. Dazu kommt, dass Kreative diese klassischen Finanzierer nicht selten auch bewusst raushalten, um unabhängiger von deren Bedingungen zu sein. Wobei es auch Mischfinanzierungen gibt; ein Teil als Kredit oder aus Fördergeldern, ein Teil Crowdfunding.

Wie funktioniert Crowdfunding?

Hartmann: Es funktioniert vor allem als eine Folge der Entwicklung des Internets. Darüber können Sie in Kontakt zu sehr vielen Menschen treten. Sie brauchen aber in der Regel Treffpunkte, Makler-Plattformen, die diejenigen, die Beteiligungsgeber suchen, mit denen zusammenbringen, die Geld geben wollen. In den letzten zwei, drei Jahren kristallisieren sich dafür professionelle Plattformen heraus: beispielsweise Kickstarter.com, eine amerikanische Plattform, in Deutschland Startnext.de, Seedmatch.de, Inkubato.com, Mysherpas.de oder Pling.de. Oder auch SellaBand.de, eine Plattform, die sich auf die Finanzierung von Bands spezialisiert hat, die nächste CD oder eine Tour. Diese Plattformen laden Personen, die Ideen haben, ein, diese hier zu präsentieren. Manche, nicht alle, verlangen dafür eine Provision, Kickstarter.com beispielsweise fünf Prozent bei Finanzierungen, die zustande kommen. Bei Startnext.de ist es ähnlich. Die Präsentationen geschehen ähnlich wie auf Facebook oder auf Xing oder Linkedin: Nutzer brauchen einen User-Account und können ihre Projekte auf ihren eigenen Profilseiten vorstellen. Angemeldete Nutzer können, wenn sie wollen, relativ problemlos Beträge beisteuern, sei es über PayPal oder andere Finanzierungswege.

Wie hoch sind Crowdfunding-Beteiligungen?

Hartmann: Das geht bei einem Euro los und ist nach oben offen. Die Gesamtsumme ist bei vielen Modellen vorher festgelegt, und sie muss ausreichen, um das zu finanzieren, was man finanzieren will. Erst wenn die kritische Masse an Geld zusammen ist, geht's los.

Braucht man für Crowdfunding unbedingt eine Makler-Plattform?

Hartmann: Nicht unbedingt. Wenn jemand bekannt genug ist und genügend Fans oder Interessenten erreicht, kann er natürlich auch direkt eine solche Crowdfunding-Aktion starten. Es gibt Beispiele, wo bekannte Musiker sich über ihre Fanclubs oder Websites direkt an ihre Fans gewandt haben. Beispielsweise David Bowie, der 1997 die Rechte an seinen Liedern, die bei seinem alten Manager lagen, zurückkaufen wollte. Um das dafür notwendige Kapital aufzubringen, gab er eine Anleihe heraus, die von seinen Fans gekauft wurde. Diese Anleihe wurde über die gegenwärtigen und zukünftigen Einnahmen durch die Songs gegenfinanziert, die sogenannten "Bowie Bonds". Er hat damit sage und schreibe 55 Millionen US-Dollar zusammenbekommen - genug um die Rechte wiederzubekommen. 

Die wohl bekanntesten aktuellen Beispiele sind die Bands Nine Inch Nails oder auch Radiohead, die mit diesen neuen Wegen der Finanzierung experimentieren und den direkten Draht zu ihren Fans nutzen. Auch sie wollen sich von ihren Musikfirmen lösen und wenden sich zuweilen direkt an ihre Fans, um mit deren Hilfe neue Alben zu finanzieren.

Gibt es beim Crowdfunding eine Gewinnbeteiligung für Geldgeber?

Hartmann: Das hängt vom jeweiligen Modell ab. Geld fließt beim Crowdfunding in der Regel nur in Richtung Beteiligungsnehmer. Es ist wie eine Art Sponsoring: Man wünscht sich, dass ein bestimmtes kreatives Vorhaben verwirklicht wird. Es ist bei vielen Plattform aber durchaus üblich, dass von den Geldempfängern erwartet wird, dass sie den Spendern eine Gegenleistung geben, sobald das Produkt fertig ist, indem sie beispielsweise das neue Album kostenlos downloaden können oder den neuen Film auf DVD zugeschickt bekommen. 

Es gibt aber auch Modelle wie z.B. bei Seedmatch, bei denen es um konkrete Unternehmensbeteiligung geht. Hier haben die Beteiligungsnehmer schon im Visier, irgendwann einmal an die Börse zu gehen. In solchen Fällen soll auch Geld an die Investoren zurückfließen. Das ist dann tatsächlich eher wie ein Venture-Capital-System gedacht. 

Das ist aber heute eher die Ausnahme. Der gängige Crowdfunding-Ansatz aus Geldgeber-Perspektive ist: Ich gebe nicht viel, und wenn was zurückkommt, freue ich mich. Es ist aber auch nicht allzu schmerzhaft, wenn gar nichts zurückkommt. Crowdfunding ist aus Geldgebersicht kein Investment.

Warum geben die Geldgeber Geld, wenn sie keine Rendite haben?

Hartmann: Kommt drauf an, was Sie unter Rendite verstehen. Crowdfunding-Appelle richten sich ja an Leute, die eine Idee wichtig finden. Die ein Produkt gerne haben oder einen Film mit einem bestimmten Inhalt gern sehen oder eine Musik ihrer Lieblingsband hören wollen. Oder wenn es um eine Firma für Umwelttechnologie oder Ähnliches geht, ist es das Geschäftskonzept, an das die Leute glauben. Im Grunde ist das eine Art Demokratisierungsprozess. Das heißt, letztendlich wollen die Geldgeber selber zu einem Teil der Ideen oder Projekte werden. Wenn sie sich von einer Idee oder einem Projekt angesprochen fühlen, sehen sie ihren Beitrag daher als eine Spende für eine gute Sache. Ihre Sache. Ein gutes Beispiel dafür ist das Filmprojekt "The Age of Stupid". Ein Dokumentarfilm über Umweltverschmutzung, Klimaschutz und dergleichen, ein bisschen in der Tradition Al Gore. Dieser Film wurde gecrowdfundet: mit 850.000 englischen Pfund von 650 Geldgebern, also Spendern. Es ist ein ökologischer Aufklärungsfilm, bei dem die Leute einfach wollten, dass es diesen Film gibt.

Für welche Ideengeber oder Projektplaner kommt Crowdfunding in Frage?

Hartmann: Die bisherigen Erfahrungen zeigen: vor allem für Content-Produzenten. Damit meine ich Film, Musik, Verlagswirtschaft. Entscheidend dafür ist, dass Filme, Musik oder Texte sehr emotionsgeladen sind und Emotionen auslösen können. Immer dann, wenn Gefühle im Spiel sind, funktioniert Crowdfunding am besten. Vielleicht sind hier auch Finanzierungen von Dienstleistungen denkbar, aber die haben es sicherlich deutlich schwerer als Musik beispielsweise, Emotionen anzusprechen.

Beim Crowdfunding geht es aber nicht nur ums Geld.

Hartmann: So ist es. Man sollte es nicht nur als Geldbeschaffungsinstrument sehen, sondern auch als Kommunikationsinstrument. Geld findet man im Notfall vielleicht auch woanders. Wenn man Crowdfunding betreibt, so läuft dies auf eine Art und Weise ab, mit der man ein neues Produkt, ob Film oder Musik, auch bekannt machen kann. Es gibt da eine bekannte Filmproduktion, die schon seit Jahren läuft, die heißt "Iron Sky". Den Film, ein origineller Science-Fiction-Zeichentrickfilm, kennen mittlerweile sehr viele Leute, obwohl er noch gar nicht im Kino ist. Die Leute bekommen aber im Internet mit, wie dieser Film entsteht. Für das Projekt sind Kosten von 6,9 Millionen Euro veranschlagt. Sechs Millionen kommen aus der Filmförderung, immerhin 900.000 Euro über Crowdfunding. Davon haben die Macher bis jetzt rund 40 Prozent zusammen. Es gibt allein 43.000 Fans von "Iron Sky" auf Facebook. Eine Riesen-Community. Wenn der Film irgendwann in die Kinos kommt oder auf DVD erscheint, ist die Community schon da.

Schafft Crowdfunding eine größere Unabhängigkeit von traditionellen Geldgebern?

Hartmann: Einerseits ja. Man finanziert ja sein Projekt teilweise oder ganz ohne sie. Man ist dann natürlich etwas unabhängiger von den Regularien formaler Finanzierungsprozesse. Andererseits kommt aber ein anderes Risiko hinzu, wenn man sich direkt über seine Zielgruppe finanzieren lässt. Die Gefahr nämlich, dass man diese Zielgruppe mit dem, was man aus deren Beiträgen schafft, enttäuscht. Im Grunde genommen entzieht man sich dabei die Geschäftsgrundlage, wenn man nicht das liefert, was bestellt worden ist.

Wird Crowdfunding immer wichtiger werden?

Hartmann: Das ist alles noch sehr in den Anfängen. Zumindest in Deutschland gibt es noch nicht so viele Erfolgsgeschichten, wie man sich vielleicht wünschen würde. 

Die Bedeutung von Crowdfunding nimmt in demselben Maße zu, wie Facebook-Freunde, Twitter-Follower oder Youtube-Abrufe zunehmen. Die Größe dieser Communities oder Fangemeinden ist mittlerweile eine eigene Währung. Wenn man drei Millionen Youtube-Abrufe in zwei Monaten hätte, wäre das schon eine Kennzahl, mit der man auch bei anderen Geldgebern anklopfen könnte. Mit der Information, dass man etwas in der Pipeline hat, das diese Community will. 

Natürlich sind auch Facebook-Anwendungen beispielsweise denkbar, über die man Crowdfunding betreiben kann, vielleicht sogar leichter als über schon existierende Plattformen. 

Wir erleben ja derzeit, wie soziale Plattformen im Internet zunehmend die Geschäftsprozesse in der digitalen Wirtschaft verändern. Vor allem Facebook ist momentan das Medium, über das auch immer mehr Projekte, Firmen oder Bands an ihre Fangruppen wenden. Wenn das weiter zunimmt, nimmt auch Crowdfunding zu, weil es der Logik dieser Netzwerke folgt.

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