Navigation

27.02.2014 -

Der Kunde ist heute schneller - Digitalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft Interview mit Prof. Dr. Irene Bertschek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)

Einleitung

Seit 2009 veröffentlicht die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft jährlich einen Monitoringbericht über die wirtschaftliche Entwicklung der Branche. Ein Schwerpunkt im jüngst veröffentlichten Bericht ist das Thema Digitalisierung. Hierzu hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bundesweit eine Befragung bei Selbständigen und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft durchgeführt.

Frau Bertschek, es geht um Digitalisierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft: Was ist damit gemeint?

Bertschek: Fangen wir mit einem Megatrend an: Viele Kultur- und Kreativunternehmen setzen heute schon auf digitale Vertriebswege. Fast die Hälfte der Unternehmen vertreibt Produkte und Dienste entweder ausschließlich oder zumindest teilweise über das Internet. Beispielsweise über Direktmarketing-Maßnahmen per E-Mail. Manche Unternehmen wie etwa Verlage richten auch eigene Downloadbereiche ein, in denen sie beispielsweise ihre Hörbücher anbieten. Dazu kommen immer mehr Apps und mobile Dienste, insbesondere in der Software- und Games-Industrie, zum Beispiel Benachrichtigungen über Neuerscheinungen oder Spiele, die auch auf Smartphones, Tablets oder Notebooks gespielt werden können. 

Dazu kommen die sozialen Netzwerke.

Bertschek: Genau. Zwei Drittel der Kultur- und Kreativunternehmen setzen auf Social-Media wie etwa Facebook, Google plus, Twitter und Youtube oder auch eigene Blogs. Damit sind dies die meist genutzten digitalen Medien überhaupt.

Besonders weit verbreitet ist die Nutzung in den Teilmärkten für Musik, Film, Rundfunk und darstellende Künste, und zwar vor allem für Werbe- und Vermarktungszwecke. Man bietet Informationen an, beispielsweise Fotos von einer Vernissage, den Bericht über die Arbeitsfortschritte bei einem neuen Film oder Downloads von Theater- oder Konzertmitschnitten. Und animiert die Nutzer darüber zur Kommunikation und Interaktion.

Die Sache ist die: Über diese Kanäle kann man bisher nicht so einfach erreichbare Zielgruppen, auch überregional, schnell und kostengünstig auf die eigenen Leistungen und Produkte aufmerksam machen. Ist deren Aufmerksamkeit erst mal gewonnen, dann können und sollen sich diese auf der Website des Anbieters über Angebote informieren.

Außerdem kann man über Social-Media Kunden in den Entwicklungsprozess einbeziehen: Gefällt Dir die Textprobe? Wie sollte die Geschichte weitergehen? Kundenwünsche können direkt berücksichtigt werden. Das Feedback der Kunden erlaubt  also die individuelle Gestaltung von Produkten und Diensten. 

Damit sind wir noch sehr dicht am kreativen "Kerngeschäft". Wie wichtig sind den Kreativen denn die digitalen Technologien und Dienste selbst?

Bertschek: Offensichtlich sehr wichtig. Immerhin knapp zwei Drittel der Unternehmen nutzen Open Software, freie Texte, Bilder, Musik und Filme. Neue Erlös- und Bezahlmodelle wie "mobile payment" und Crowdfunding-Plattformen zur Finanzierung von Projekten oder Produkten kommen eher nicht an. Noch nicht, muss man hier vor allem für das Crowdfunding wohl sagen. 

Internet und Digitalisierung können und sollen in der Wirtschaft insgesamt ja auch neue Kundengruppen erschließen. Klappt das auch bei den Kreativen?

Bertschek: Allerdings. Nehmen wir beispielsweise die Musikwirtschaft, die darstellenden Künste und die Software- und Games-Industrie. Das sind die drei Teilmärkte, in denen Unternehmen am häufigsten neue Kunden durch das Internet und die zunehmende Digitalisierung gewonnen haben. Wie das funktionieren kann, zeigen zum Beispiel die Musikplattformen, über die Musiker ihre Musik digital vertreiben können und dabei Kosten für die Tonträger und die Akquise von Rechten sparen. Nebenbei verhilft sie jungen Musikern zur Startfinanzierung von Musikprojekten.

Die Herausforderung ist, sich bei diesem Internet-Marketing gegenüber anderen Anbietern, die diese Kanäle ebenfalls nutzen, abzusetzen. Das kann man schaffen, wenn man dafür sorgt, dass sie von Suchmaschinen gut gefunden werden können, durch den originellen Einsatz sozialer Medien wie Blogs und Foren oder vielleicht durch auch die geschickte Platzierung von Platten-Cover mit kostenlosen Hörproben auf den Websites von Partnern, die dann wiederum auf die eigene Download-Plattform weiterleiten. 

Digitalisierung ermöglicht vor allem ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität. Wie genau wird das möglich?

Bertschek: Über die Hälfte der Kultur- und Kreativunternehmen arbeitet mit Smartphones, Tablets oder Notebooks, wodurch sie räumlich unabhängig werden und überall arbeiten können. Entweder von zu Hause aus, im Home Office: Das ist überdurchschnittlich verbreitet in den Teilmärkten für Rundfunk, Musik, Buch, Presse, darstellende Künste, Kunst und Design. Oder in sogenannten Coworking Spaces, also zeitweise angemieteten Büroräumen mit allem technischen Drumherum und vielen sozialen Kontakten dazu. Diese Arbeitsform kommt insbesondere den vielen jungen Selbständigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft entgegen: Sie können auf diese Weise hohe Kosten für die Miete und Ausstattung von Büroräumen vermeiden.

Zudem bieten sich durch die Technik interaktive und interdisziplinäre Kooperationsmöglichkeiten. Bei Architekturbüros beispielsweise können alle an einem Bau beteiligten Parteien und Disziplinen, Architekten, Bauzeichner und Statiker, vom Planungsprozess bis hin zur Fertigstellung rund um die Uhr zusammenarbeiten, auch wenn sie meilenweit voneinander entfernt sind.

Es heißt, die größte Herausforderung in Sachen Digitalisierung sind die gestiegenen Anforderungen seitens der Kunden. Welche Anforderungen sind das? Und wie kann man sie als Akteur der Kultur- und Kreativwirtschaft erfüllen?

Bertschek: Diese gestiegenen Anforderungen empfinden vor allem die Architekten, die Designer und der Werbe- und Buchmarkt. Die Kunden sind über das Internet gut informiert, sie vergleichen alternative Produkte und Dienste und deren Preise. Dadurch entsteht ein steigender Preisdruck. Zusätzlich ergibt sich ein hoher Innovationsdruck. Und da geht es um die Partizipation der Kunden am Leistungserstellungsprozess. Die erleichterte Kommunikation und der schnelle Austausch von Informationen sind hier der Dreh- und Angelpunkt. Das ermöglicht den Kultur- und Kreativunternehmen, schnell auf die Kundenwünsche zu reagieren. Und weil das möglich ist, erwarten das die Kunden auch. Der heutige Kunde gibt sich nicht mehr nur mit dem Standardsortiment zufrieden, sondern will möglichst auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zugeschnittene, individualisierte Produkte, sei es ein individuell gestalteter Neubau oder ein spezielles Verpackungsdesign. Das bedeutet: Man kann als Kreativer nicht mehr nur warten, bis einen die Muse küsst. Der Kunde ist heute im Zweifelsfalle schneller.

Download