Navigation

02.10.2014 -

"Die Frage, wohin die 'digitale Reise' gehen soll, müssen wir gemeinsam beantworten." Interview mit Gesche Joost, Professorin an der Universität der Künste, Berlin, und Digitale Botschafterin für Deutschland

Einleitung

Im Rahmen der Initiative "Digital Champions" der Europäischen Kommission setzt sich die Digitale Botschafterin für Deutschland, Gesche Joost, für einen verbesserten Zugang zu digitalen Technologien und Diensten ein. Ziel der EU-weiten Initiative ist es, möglichst viele Menschen mit den Chancen der digitalen Medien und des Internets vertraut zu machen.

Mit der Digitalen Agenda für Deutschland hat die Bundesregierung ihre politische Marschroute für die kommenden Jahre festgelegt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist davon zweifach berührt. So verändert die Digitalisierung zum einen den kreativen Schaffensprozess. Zum anderen liefert sie neue Ideen, die bei der kreativen Arbeit in die Tat umgesetzt werden können.

Frau Prof. Joost, welche Aufgaben haben Sie als Digitale Botschafterin?

Die Aufgabe einer Digitalen Botschafterin ist es, zwischen der Europäischen Digitalen Agenda und der Deutschen Digitalen Agenda zu vermitteln. Dazu treffe ich mich regelmäßig mit den Digitalen Botschafterinnen und Botschaftern der anderen EU-Mitgliedsländer. Eine zentrale Rolle spielen dabei Überlegungen, welchen Stellenwert die von der Europäischen Kommission beschlossenen Maßnahmen für die einzelnen Länder haben und wie sie sich an die spezifischen Bedingungen vor Ort anpassen lassen. Da geht es beispielsweise um Fachkräftemangel und E-Skills, Medienbildung oder auch um die Start-up-Förderung. Dabei setzt jedes Mitgliedsland eigene Akzente, je nachdem, wo der größte Bedarf ist. Bei uns in Deutschland ist das beispielsweise der Breitbandausbau. Oder auch die Digitalisierung der Arbeitsprozesse sowie neue Formen der Vernetzung in der Industrie. Unser Schwerpunkt in Deutschland liegt ganz klar auf der wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Mittelstands, wohingegen es in anderen Mitgliedsländern eher stärker oder fast ausschließlich um die Gründungsförderungen geht oder um größere Industrien.

Die Vorschläge, die ich aus Brüssel mitbringe, unterbreite ich dann beispielsweise dem Wirtschaftsminister, um gemeinsam zu überlegen, welche Maßnahmen etwa angesichts des Fachkräftemangels und der Herausforderungen der digitalen Arbeit in Deutschland sinnvoll sind und wie wir diese mit den europäischen Themen vernetzen.

Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung für die Kultur- und Kreativbranche mit sich?

Prof. Joost: Nehmen Sie die Digitalisierung von Kulturgütern: Das ist eine große, auch gesellschaftliche Herausforderung. Wie gehen wir mit unserem kulturellen Erbe um? Wie bekommen wir diese Herkulesaufgabe gestemmt, digitale Formate einzusetzen, die dieses Erbe nachhaltig speichern? Welche technischen Standards müssen wir festlegen, damit diese Kulturgüter beispielsweise im Internet abbildbar, auffindbar und für das Publikum zugänglich sind? Und wo und wie können wir, wo es eben urheberrechtlich möglich ist, diese Kulturgüter einfach frei zur Verfügung stellen, um so viele Menschen wie möglich an der kulturellen Vielfalt teilhaben lassen? Denken Sie allein an das Vorzeigeprojekt der Deutschen Digitalen Bibliothek. Das ist eines der Beispiele für eine digitale Gesellschaft. Damit ist natürlich auch ein ganz starker Bildungsauftrag verbunden.

Apropos Urheberrecht: Wie steht es bei der Digitalisierung um das Urheberrecht in der Kunst- und Kreativwirtschaft?

Prof. Joost: Eine wichtige Frage, die jetzt auf der Agenda der Europäischen Kommission steht. Dabei wird es darum gehen, auch mit Deutschland gemeinsame Positionen zu finden und das Urheberrecht dem digitalen Zeitalter anzupassen. Wir wollen einerseits nicht durch zu viele Vorgaben zu hohe Hürden für die Nutzung digitaler Inhalte aufbauen. Andererseits müssen wir dem professionellen und massenhaften Missbrauch von Urheberrechten Einhalt gebieten.

Aus den Höhen der Politik in die Niederungen der Praxis: Was hat die Digitale Agenda den vielen Kreativschaffenden zu bieten?

Prof. Joost: Ich glaube, dass es hier vor allem um das digitale Arbeiten geht. Ich bin selbst Designerin von Hause aus und kenne sehr viele Solo-Selbstständige. Die schätzen diese neuen und freien projektbezogenen Formen des Arbeitens. Gleichzeitig geraten viele dadurch aber auch an den Rand der Selbstausbeutung. Da muss man sehen, wie man zum Beispiel die sozialen Sicherungssysteme besser anpassen kann. Ich denke da zum Beispiel an flexible modulare Systeme, die der Lebenswirklichkeit von vielen Kreativen eher gerecht werden. Und ich würde mir Lösungen wünschen, die gemeinsam mit den Kreativschaffenden entwickelt werden.

Wobei die digitalen Möglichkeiten ja weit über das Thema Arbeitserleichterung hinausgehen.

Prof. Joost: Ganz sicher. Die digitalen Arbeitsmöglichkeiten und die digitale Welt bieten Kreativ-Start-ups jede Menge Chancen. Dabei müssen sie natürlich auch gefördert werden. Wir müssen bessere Bedingungen dafür schaffen, damit sie auch wachsen können. Derzeit ist viel in Bewegung in Richtung Kreativ- und Start-up-Förderung, weil man die Kreativwirtschaft als ein wichtiges Wachstumsfeld erkannt hat. Dabei sollte man bei der Kreativförderung aber nicht nur an Geld denken. Dazu gehört auch, dass man Impulse für neue Ideen liefert - über Open Data. Dass man offene Schnittstellen schafft, um zum Beispiel Daten der Verwaltung nutzen zu können: Wetterdaten, Mobilitätsdaten, Einwohnerentwicklung. Daraus lassen sich viele neue Serviceideen kreieren.

Wie kann sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in diesen Gestaltungsprozess der Digitalen Agenda mit einbringen?

Prof. Joost: Was aus meiner Perspektive wichtig ist: gute Beispiele zu sammeln. Zum Urheberrecht. Oder zur Weiterentwicklung von journalistischen Angeboten und Geschäftsmodellen. Dass man sich überlegt: Welche Erfahrungen gibt es mit der Bezahlschranke für Online-Journalismus? Welche alternativen Finanzierungskonzepte gibt es? Auf der Basis solcher Erfahrungen lassen sich dann politische Handlungskonzepte entwickeln. Hier muss die Branche mit der Politik Hand in Hand gehen. Man muss sich immer darüber im Klaren sein, dass die Politik bei der Entwicklung von Handlungskonzepten keinen Schritt voraus ist, sondern auf demselben Stand wie die Betroffenen. Die Frage, wohin die 'digitale Reise' gehen soll, müssen wir daher immer gemeinsam beantworten.

Wie kann das aussehen, dieses Hand-in-Hand-Gehen, die gemeinsame Arbeit an neuen digitalen Kreativ-Konzepten?

Prof. Joost: Da sollten viele verschiedene Akteure mit im Boot sein - Solo-Selbstständige oder Start-ups oder auch Organisationen wie die Open Knowledge Foundation. Die haben eine andere Perspektive auf die Themen als die Leute, die in der Kulturwirtschaft schon länger unterwegs sind und gut organisiert sind, um sich Gehör zu verschaffen. So würde der Stimmenkanon vielfältiger. Was sagt zum Beispiel der Solo-Selbstständige, der in Sankt Oberholz sitzt und Websites programmiert? Wie sieht sein Entwurf für eine zukünftige soziale Sicherung aus? Diesen Austausch halt ich für wichtig und der lässt sich mit digitalen Formen und Formaten des Wissensaustausches umsetzen.
Darüber hinaus hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Format der "Denkräume" angeregt. Dazu lädt er jetzt im Oktober zum Beispiel Eric Schmidt von Google ein, um mit ihm ein Streitgespräch über die Macht von Internet-Unternehmen zu führen. Das Publikum, mit vielen Vertretern der Kreativ-Branchen, kann mitdiskutieren und an dieser spannenden Debatte teilhaben - das finde ich ein gutes Format.

(Veranstaltungsreihe "Wirtschaft für morgen". Anm.d.Red.)

Weiterführende Informationen