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31.10.2018 -

Neue Aufgaben für ein Kulturangebot auf dem Land Für mehr Lebensgefühl und Selbstwirksamkeit

Einleitung

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt in ländlichen Regionen. An vielen Orten stellen sich dort drängende Fragen: Wie lässt sich das Kulturangebot in ländlich geprägten Regionen und kleineren Städten weiterentwickeln? Und wie können sich Kulturinstitutionen vor Ort für neue Aufgaben, Inhalte und Kooperationen öffnen?

TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel

Das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ sucht auch nach Antworten auf diese Fragen. Es ist eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Diese unterstützt Regionen dabei, ihre Kulturorte und ihr Kulturangebot dauerhaft zu stärken. Beteiligt sind bislang das Oderbruch, Südniedersachsen, die Saarpfalz und die Schwäbische Alb. Ab 2019 kommen bis zu fünf weiteren Regionen hinzu.

TRAFO – Ideenkongress

Ende September fand in Halle an der Saale der TRAFO-Ideenkongress zu Kultur, Alltag und Politik auf dem Land statt. Sein Ziel war, Ideen und Perspektiven vorzustellen, wie das Kulturangebot auf dem Land in Zukunft aussehen kann, und in der Diskussion Thesen für eine künftige Kulturförderung in ländlichen Räumen zu entwickeln. In Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops wurden Künstlerinnen, Kulturschaffende, Vertreter aus Politik und Verwaltung, Wissenschaft und Förderprogrammen zu einem Austausch über die Interessen der Kultur, die Wünsche der Zivilgesellschaft und die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik eingeladen.

Wir haben nach dem Ideenkongress mit Samo Darian, dem Leiter der TRAFO-Initiative, gesprochen.

Samo Darian leitet das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur Wandel, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes.

Herr Darian, was ist Kultur im ländlichen Raum?

Darian: Zunächst: Unter ländlichem Raum verstehen wir nicht nur Dörfer und ländliche Gegenden, sondern auch die kleinen Städte. Städte mit 10.000 oder 20.000 Einwohnern, in denen viele der Menschen auf dem Land wohnen. Wenn man sich also Kultur in ländlichen Räumen anschaut, dann geht es vornehmlich um Zweierlei. Zum einen um die Kultureinrichtungen, die es vor allem in den kleinen Städten gibt. Die kulturelle Infrastruktur, die Kulturorte, die zum Großteil öffentlich gefördert werden: Bibliotheken, Theater, Museen. Und es geht zum anderen um Kulturinitiativen, Kulturvereine, ehrenamtliche Strukturen und die Kultur- und Kreativschaffenden, die das kulturelle Leben vor allem auch außerhalb der Städte prägen.

Welche Rolle spielt Kultur im ländlichen Raum?

Darian: Auch auf dem Ideenkongress wurde ja sehr deutlich, dass die Bedeutung der lokalen Bildungs- und Kulturangebote in den letzten Jahren und Jahrzehnten unterschätzt wurde: als Standortfaktor, als Beitrag für die Identifikation der Menschen mit ihren Regionen, für das Lebensgefühl vor Ort, aber auch für die Selbstwirksamkeit. Das ist ein Wort, das auf dem Kongress immer wieder fiel. Damit ist gemeint, dass Menschen sich einbringen wollen in die Weitergestaltung ihrer Region und ihres Lebensumfeldes. Und zu den Veränderungsprozessen, die in ländlichen Räumen anstehen und stattfinden, kann Kultur ihren Beitrag leisten.

Sie sprechen von Kultur als Beitrag für die Identifikation der Menschen mit ihren Regionen und zu dort stattfindenden Veränderungen. Um welche Veränderungen geht es?

Darian: Es ist ja so: In den Regionen wie auch in den Städten erleben wir einen rasanten gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Die Arbeitswelt verändert sich grundlegend, neue Formen der Kommunikation werden wichtiger, die Digitalisierung verändert unsere Arbeit und unser Privatleben. In einigen Regionen, die als strukturschwach gelten, kommen noch weitere Faktoren hinzu. Junge Menschen verlassen ihren Heimatort, die Bevölkerung dort schrumpft und wird älter. Dazu kommt an vielen Orten der wirtschaftliche Strukturwandel. All diese Veränderungsprozesse haben natürlich auch Auswirkungen auf die Kulturschaffenden und die Kultureinrichtungen. Was kommt also auf die Kultur und die Kulturorte zu? Es geht erstens darum, dass sich die schon erwähnten Kulturorte weiterentwickeln und sich für neue Formen der Kulturarbeit öffnen. Einige Kulturorte nehmen sich da einer neuen Aufgabe an. Sie entwickeln sich beispielsweise zu Begegnungs- und Kommunikationsorten in ihrer Region, zu einem Dritten Ort, wie man heutzutage solche Begegnungsorte nennt. Ein zweites wichtiges Thema ist die Mobilität. Vielen Regionen ist es wichtig, für mehr Mobilität von Kultur zu sorgen. Und bei jeder dieser Aufgaben spielen auch Kreativschaffende eine besondere Rolle, da sie noch einmal andere, eher künstlerische, Herangehensweisen in die Veränderungsprozesse einbringen.

Der Reihe nach: Kulturorte weiterentwickeln. Welche Kulturorte? Warum ist das nötig? Und wie ist das möglich?

Darian: In einigen Projekten, die wir bei TRAFO unterstützen, stehen zum Beispiel Museen im Mittelpunkt, kleine Museen und Heimatstuben, die jeder kennt und die es in allen Regionen deutschlandweit gibt. Die Akteure hier arbeiten nicht selten ehrenamtlich Und sie stehen häufig vor der Frage: Wie schaffen wir den Generationenwechsel? Wie schaffen wir es, auch in Zukunft noch ein Angebot machen zu können, unsere Häuser noch regelmäßig für Besucher öffnen zu können? In einem TRAFO-Projekt im Oberharz, in Clausthal-Zellerfeld, haben sich mehrere kleine Bergbaumuseen und Besucherbergwerke zu einem Verbund zusammengeschlossen, um zwei Fragen gemeinsam anzugehen: Welche Inhalte wollen wir in Zukunft präsentieren? Und was wird besser, wenn wir zusammenarbeiten? Die Einrichtungen haben dann ein ganz breites Beteiligungsverfahren angestoßen. Denn ihnen war klar: Um nachhaltige Antworten auf diese zentralen Zukunftsfragen zu bekommen, braucht man die Bewohner der Region. Sie haben zum Beispiel Schulklassen und interessierte Bürger eingeladen, ihre ganz eigene Sicht auf die Museen und das Thema Bergbau einzubringen. Daraus sind neue Themenstellungen und Vermittlungsformate für die beteiligten Museen entstanden. Es wurde aber auch die Politik, die Bürgermeister und die Stadtverordneten, zur Mitarbeit eigeladen. Sie haben ihrerseits die Museen stärker auf ihr touristisches und damit auch wirtschaftliches Potenzial hin angeschaut und überlegt, wie die Museen stärker in die gesamte Region ausstrahlen können.

Sie haben außerdem das Thema Mobilität angesprochen. Das ist in ländlichen Räumen immer ein Thema. Was genau treibt Sie hier um?

Darian: Es geht sowohl um die Mobilität der Menschen als auch der Inhalte. Viele Regionen fragen sich: Wie können sich die Menschen dorthin bewegen, wo die Kultur stattfindet? Oder: Wie können regelmäßige kulturelle Angebote dort stattfinden, wo die Menschen sind, auch wenn es dort keine öffentlichen Kulturorte gibt? Die zweite Frage bearbeiten beispielsweise einige größere Einrichtungen in unserem TRAFO-Projekt auf der Schwäbischen Alb. Theaterleute des Landestheaters Tübingen arbeiten über längere Zeit in einer kleinen Gemeinde, mit den Menschen vor Ort und zu ihren Themen. In diesen Bürgerbühnen entwickeln die Menschen vor Ort eigene Bürgerbühnenstücke und setzen sie ebenfalls um. Oder es gibt Profimusiker der Opernfestspiele Heidenheim, die normalerweise in der Oper in großen Städten spielen: Auch sie gehen aufs Land und arbeiten an Musikschulen mit Kindern zusammen. Dahinter steckt der Gedanke, dass größere Kultureirichtungen in Städten nicht nur für die Stadtgesellschaft bis zur Stadtgrenze wirken sollen, sondern eben auch darüber hinaus, in den umliegenden Regionen.

Würden Sie dazu auch solche Projekte wie z.B. das Schleswig-Holsteinische Musikfestival rechnen? Das verfolgt auch den Gedanken, Kultur überall im Land und vor allem auch auf dem Land stattfinden zu lassen.

Darian: Eigentlich nicht. Es gibt natürlich große Festivals, die auf dem Land stattfinden. Viele solcher Festivals nutzen aber lediglich die verschiedenen attraktiven Locations auf dem Land für ihre Auftritte, sie bringen also fertige Produktionen als Gastspiele aufs Land. Ihre Aufgabe ist es aber nicht, längerfristig an den Orten und mit den Menschen zu arbeiten. Das, was ich beschrieben habe, sind oftmals kleiner dimensionierte Projekte, die aber längerfristig an einem Ort aktiv sind. Unsere Partner aus dem Landestheater oder der Opernfestspiele gucken sich erst einmal genau an, welche Partner es an einem Ort gibt, die man ansprechen kann, die interessiert und in der Lage sind, so ein Projekt über mehrere Monate mit zu gestalten. Und das sind oftmals Vereine, Initiativen, Ehrenämtler, zum Teil auch Honorarkräfte, im Idealfall die Kreativschaffenden vor Ort, die sich einbringen.

Dann kommen wir zu dem Thema, das Sie „Dritte Orte“ genannt haben. Was verbirgt sich dahinter?

Darian: Dazu muss man wissen: In vielen Regionen fallen die Orte weg, an denen sich die Menschen früher begegnen konnten, die Kommunikations- und Begegnungsorte. Man traf sich im Vereinshaus, aber auch in der Gastwirtschaft, um sich auszutauschen und vielleicht gemeinsam an Vorhaben zu arbeiten. Es ist eine neue Aufgabe, die auf Kulturschaffende und Kultureinrichtungen durchaus zukommen kann, solche Gelegenheiten für Kommunikation und Begegnung wiederherzustellen. Wir sehen, dass immer mehr Theater, Museen oder Bibliotheken darüber nachdenken, über ihre angestammten Aufgaben hinaus aktiv zu werden. Also mehr zu sein als ein Ort, zu dem die Leute gehen, um Theaterstücke anzuschauen oder eine Ausstellung zu besichtigen oder Bücher auszuleihen. Diese Kulturorte wollen sich öffnen, sie versuchen neue Aufgaben in ihrer Region zu übernehmen. Und zu denen laden sie die Bevölkerung vor Ort ein, also auch dazu, ihre Ideen einzubringen.

Das ist sehr abstrakt. Haben Sie mal ein Beispiel: Was kann an einem Theater, in einem Theater anderes stattfinden, wenn Leute von außen mit ihren Ideen kommen? Oder in einer Bibliothek?

Darian: Ein schönes Beispiel ist das Theater Lindenhof in Melchingen auf der Schwäbischen Alb. Melchingen ist ein Dorf mit 900 Einwohnern, das seit 1981 ein eigenes Theater hat. Das Theater ist ein ganz toller Ort im ländlichen Raum, in einer ehemaligen Gastwirtschaft untergebracht und zweitgrößter Arbeitgeber im Ort. Die Theatermacher haben aber in den letzten Jahren gemerkt, dass in ihrem Dorf mancherlei Angebote, die es früher gab, verschwunden sind. Also haben sie gesagt, dass sie als Kulturort dort einspringen, um ein lebendiges Lebensumfeld in ihrem Dorf aufrechtzuerhalten. Ein Beispiel: Da es im Ort keinen Friseur gibt öffnet das Theater jeden Dienstag seine Garderobe, die tagsüber nicht genutzt wird, für einen Friseur. Beim Haareschneiden werden den Kunden dann aber auch Geschichten aus der Region erzählt. Das alles gehört vielleicht nicht zur ureigensten Aufgabe eines Theaters, es macht aber deutlich, dass über die Rolle und Funktion ländlicher Kulturorte neu gesprochen werden kann. Ein anderes Beispiel dafür, welche Angebote solche Dritten Orte übernehmen können, sind Erzähl-Cafés. Sie laden die Menschen wieder stärker dazu ein, miteinander ins Gespräch zu kommen. Oder nehmen Sie das Theater Lindenhof: Das veranstaltet sogenannte Wohnzimmertheater: Die Bewohner werden dabei für einen Abend zu Veranstaltern, ihr Wohnzimmer zu einem Theaterraum. Sie sehen hier wieder die beiden Denkrichtungen: Das Theater öffnet sich selbst als Ort und Institution, und es geht mit seinen Inhalten raus zu den Menschen.

Sie haben immer mal wieder erwähnt, dass die Kreativschaffenden bei all diesen ländlichen Kultur-Ansätzen eine Rolle spielen. Wie sieht das aus?

Darian: Es geht ja bei all diesen Ansätzen um Veränderungsprozesse. Solche Prozesse sind immer langwierig und kompliziert. Entscheidungen für eine Veränderung fallen ja deshalb so schwer, weil die Folgen nicht immer so klar abzusehen sind, obwohl sie sehr weitreichend sein können. Da ist kreativer Input dringend nötig und da ist man bei Künstlern und Kulturschaffenden an der richtigen Adresse. Künstlerische Projekte haben den Vorteil, dass sie temporär sind. Man kann in künstlerischen Projekten quasi die Zukunft erproben, ohne sich vorab festlegen zu müssen. Und sie können viele Menschen mobilisieren, beteiligen und begeistern. Auch dies ist in Veränderungsprozessen sehr wichtig. Es kann aber auch noch handfester aussehen wie z.B. im Oderbruch Museum Altranft. Das Museum arbeitet jedes Jahr zu einem Thema, das mit der Region etwas zu tun hat: Landwirtschaft, Wasser oder Handwerk. Zu diesen Themen holt sich das Museum die Expertise der Menschen vor Ort. In Interviews befragen die Museumsmacher die Menschen in der Region nach ihren Erfahrungen. Und Künstler werden angefragt, ihre Positionen und Qualifikationen in das Museum einzubringen und dort künstlerische Projekte umzusetzen. Die künstlerischen Produktionen, die dabei entstehen, sind dann langfristig im Museum zu sehen. Es geht hier darum, mit sehr verschiedenen Perspektiven das regionale kulturelle Erbe zu beschreiben und zu vermitteln, quasi als Selbstbeschreibung der Region: Wie sehen die Leute die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihrer Region?

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