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01.10.2020 -

Schnell und flexibel
Interview mit Birgit Böcher, Geschäftsführerin des Deutschen Musikverleger-Verbands e.V., zum neuen Forum Musikwirtschaft

Einleitung

Frau Böcher, in der Corona-Krise traten zahlreiche Verbände der Musikwirtschaft erstmals geschlossen auf. Warum? Wer?

Dazu muss ich ein bisschen ausholen: Bereits im März 2019 haben sich Vertretungen auch dieser Verbände zu einer gemeinsamen Klausurtagung begeben, um die 2. Konferenz „Agenda Musikwirtschaft“ vorzubereiten. Die erste „Agenda Musikwirtschaft“ wurde 2018 gemeinsam mit dem Berliner „Tagesspiegel“ veranstaltet. In diesem Veranstaltungsformat diskutieren Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden usw. darüber, was auf die politische Agenda einzelner gesellschaftlicher Bereiche Sektoren gehört. In dem Vorbereitungstreffen für die 2. Agenda-Konferenz gehörte für uns vor allem auch, eine Bündelung der gemeinsamen Kräfte der Musikwirtschaft auszuloten. Konkrete gemeinsame Aktionen neben der Agenda-Konferenz lagen für uns damals aber noch in weiter Ferne.

Gemeinsame Aktionen waren dann aber schneller erforderlich als gedacht?

So ist es. Als mit dem Lockdown im März auch der komplette Live-Musiksektor aus vollem Lauf zum Stillstand kam, wurde uns allen schnell klar, dass wir als Musikwirtschaft gemeinsam aktiv werden mussten, um das ganze Ausmaß der Folgen auf die Branche deutlich zu machen.

Als erstes haben wir sehr schnell am 25. März einen gemeinsamen „Schadensbericht“ erstellt und an die zuständigen Bundesministerien versandt.

Der hat beispielsweise deutlich gemacht, dass die Corona-Pandemie aktuell vor allem die Konzertveranstalter und Clubbetreiber an den Rand der Existenz bringt. Die weiteren Folgen treffen danach im nächsten Jahr vor allem die Musikverlage und -Labels. Oder nehmen Sie die vielen Clubs, die sich vor allem als Kulturstätten definieren und nicht primär auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind: Die sind wirtschaftlich nicht der Lage, eine längere Schließung ohne Hilfe durchzustehen.

Es gab zudem eine Umfrage zur Wirksamkeit der Hilfsprogramme von Bund, Ländern und anderer Organisationen durchgeführt, an der sich über 4.000 Branchenangehörige beteiligt haben. Auf der Basis der Ergebnisse dieser Umfrage haben wir dann ein spezielles Hilfsprogramm für die gesamte Musikbranche gefordert.

Und aus dieser ersten gemeinsamen Aktion ist dann dieser Zusammenschluss, das Forum Musikwirtschaft, geworden.

Genau. Die gemeinsame Arbeit währen der Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass die Wirtschaftsverbände gemeinsam ihrem Anliegen mehr Gewicht verleihen können und sichtbarer sind – so haben wir das Forum Musikwirtschaft ins Leben gerufen. Gründungsmitglieder sind die Verbände, deren Mitglieder primär wirtschaftlich im kulturellen Sektor tätig sind: der Deutsche Musikverleger-Verband, der Verband der Unabhängiger Musikunternehmer*innen, der Bundesverband Musikindustrie, die Society Of Music Merchants, der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, die LiveMusikKommission.

Wir verstehen das Forum als Diskursraum, in dem zentrale Themen der Musikwirtschaft identifiziert und erörtert werden, um sie an die Politik und die Öffentlichkeit zu adressieren – damit die Musikwirtschaft auch die Wertschätzung und Aufmerksamkeit erfährt, die sie gemäß Ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung verdient.

Das Forum Musikwirtschaft soll bleiben. Ein neuer Dachverband soll daraus aber nicht werden. Warum nicht?

Wenn Sie einen Verband gründen, müssen Sie eine Satzung erarbeiten und verabschieden, einen Vorstand berufen, einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende wählen und was nicht alles noch. Das dauert alles viel zu lange. Wir sind alle alte „Verbandshasen“ und wissen, dass starre Strukturen und Formalien ein schnelles, zielgerichtetes Handeln eher verhindern können. Das Format des Forum Musikwirtschaft ist da viel flexibler. Es gibt uns zudem auch die Freiheit, weitere Mitspieler hinzuzunehmen – ob punktuell für bestimmte Aktionen und Veranstaltungen oder grundsätzlich. Beispielsweise die GEMA.

Wie wird das Verhältnis des Forums zu den Einzelverbänden aussehen?

Es gibt ja viele verschiedene Verbände im Bereich der Musikwirtschaft. Die schlagen sich beispielsweise für ihre Mitglieder mit vielen unterschiedlichen Problemen herum: Steuerfragen im Veranstaltungsbereich oder die Umsetzung des Urheberrechts. Das bleibt auch so. Nur dass die Einzelverbände eben für ihre Belange nicht mehr einzeln an politische Entscheidungsträger herantreten, sondern dass das Forum Bedarfe und Forderungen bündelt und mit vertritt. Insgesamt haben uns die letzten Monate gezeigt, dass wir gemeinsam einfach schlagkräftiger sind, ohne dabei die jeweiligen verbandseigenen Interessen zu vernachlässigen.

Ihr Kollege Jörg Heidemann vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen hat sinngemäß beklagt: „Für die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien ist die Musikwirtschaft zu sehr Wirtschaft, fürs Wirtschaftsministerium zu sehr Kultur. Was genau hat Herr Heidemann damit gemeint? Und wie kann das Forum das Problem lösen helfen?

Damit ist gemeint, dass sich die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für uns anfangs nicht wirklich zuständig gefühlt hat, da unsere Mitglieder wie z. B. ein Musikfachgeschäft oder ein Hersteller von Musikinstrumenten ja eigentlich Wirtschaftsunternehmen sind. Für die sei das BMWi zuständig. Für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aber gehören wir eher zur Kultur. Daher haben wir in der Vergangenheit bei beiden Häusern nicht so richtig einen Fuß in die Tür bekommen. Das hinzubekommen, auch bei anderen Ministerien, ist ein wichtiges Anliegen des Forums. Unser Kollege Jens Michow vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft hat das mal sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Wir haben alle erkannt, dass gemeinsames Handeln mehr bringt, als wenn jeder einzeln Klinken putzen geht.“ Das ist eigentlich keine wirklich neue Erkenntnis. Man muss es nur auf die richtige Art und Weise tun. Und genau das passiert bei uns gerade.