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09.11.2022 -

„Als unabhängiges Theaterensemble treffen wir alle Entscheidungen gemeinsam.“ Interview mit Vera Kreyer und Katharina Kwaschik, Ensemble-Mitglieder der Shakespeare Company Berlin

Einleitung

Vera Kreyer (links), Katharina Kwaschik (rechts)

Vera Kreyer (links), Katharina Kwaschik (rechts)

© v.l.n.r.: René Löffler, Ruthe Zuntz

Die Shakespeare Company Berlin hat ihren festen Platz in der Berliner Theaterszene. Bekannt ist die Ende der 90er Jahre gegründete Theatergruppe aber nicht nur wegen ihres Repertoirs, sondern auch wegen ihres besonderen Ensembles. Dessen Mitglieder entscheiden selbst, was sie spielen, wo sie spielen und wer Regie führen soll. Wie das funktioniert, erklären die Schauspielerinnen Vera Kreyer und Katharina Kwaschik im folgenden Interview.

Wie kam es zur Gründung der Shakespeare Company Berlin?

Kreyer: Die Company wurde ursprünglich von dem Schauspieler und Regisseur Christian Leonard gegründet. Er hatte die Idee eines freien Theaterensembles als Gegenentwurf zu hierarchisch geführten Stadttheaterbetrieben. Und da er Shakespeare-Liebhaber war, sollten dessen Stücke im Mittelpunkt stehen. Unter diesen Vorzeichen hat er 1999 ein Ensemble auf den Weg gebracht. Inzwischen haben sich unsere Wege zwar getrennt, geblieben ist aber der Anspruch, als Theater-Kollektiv alle künstlerischen, personellen und wirtschaftlichen Entscheidungen basisdemokratisch innerhalb des Ensembles zu treffen und darüber hinaus den Schwerpunkt der Arbeit auf Shakespeares Werke zu legen.

Wer gehört zur Company?

Kreyer: Wir sind ein Theater der Schauspielerinnen und Schauspieler. Unser Ensemble besteht seit vielen Jahren aus einem ziemlich stabilen Kern von 16 Kolleginnen und Kollegen. Hinzu kommen ein technischer Leiter sowie Kolleginnen und Kollegen, die für Büro und Verwaltung zuständig sind.
Kwaschik: Zur Company gehören auch die Jugendtheatergruppe „Shakespeare Kids“ und die Mitglieder des Fördervereins Shake Hands. Unsere Fangemeinde und unser Netzwerk an Unterstützerinnen und Unterstützern wächst stetig weiter, was unglaublich schön ist.

Regisseurinnen und Regisseure gehören nicht zur Company?

Kreyer: Nein, wir suchen uns die Regisseurinnen und Regisseure, die unsere Stücke inszenieren, jeweils gemeinsam aus. Dazu schlagen die Ensemblemitglieder Regisseure vor, von denen wir drei bis vier zu einem Gespräch einladen. Dabei tauschen wir uns über unsere Wünsche aus, zum Beispiel welches Stück wir aufführen möchten, was uns bei der Inszenierung wichtig ist usw. Die eingeladenen Regisseurinnen und Regisseure erzählen von ihrer Arbeit und ihren Erwartungen an uns. Die Ensemblemitglieder entscheiden dann, mit welcher Regisseurin oder mit welchem Regisseur sie für die Dauer eines Jahres zusammenarbeiten möchten. Das Verfahren ist schon etwas ungewöhnlich, denn normalerweise trifft am Theater die Intendanz oder die künstlerische Leitung solche Entscheidungen. Aber das ist die Besonderheit bei uns: Als unabhängiges Theaterensemble treffen wir alle Entscheidungen gemeinsam, sozusagen basisdemokratisch.

Die Shakespeare Company Berlin ist ziemlich bekannt. Wie ist es Ihnen gelungen, sich in der Stadt mit ihrer großen und bunten Theaterszene zu behaupten?

Kreyer: Das hervorstechende Merkmal ist natürlich, dass wir ausschließlich Shakespeare spielen. Wer Lust auf Shakespeare hat, weiß, dass er hier am richtigen Ort ist. Die Geschichten von Shakespeare sind einfach immer wieder ergreifend. Die haben einen Sog. Es geht um Hass, Liebe, Macht – das sind zeitlose Geschichten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind immer wieder erstaunt, wie aktuell die Geschichten noch sind.

Darüber hinaus hören wir immer wieder von unserem Publikum, dass diese spezielle Ensembleatmosphäre sehr positiv wahrgenommen wird. Das beginnt schon damit, dass wir während des Einlasses unser Publikum persönlich begrüßen. Dieser direkte Kontakt ist uns sehr wichtig. Außerdem stehen bei unseren Inszenierungen nie einzelne Spielerinnen oder Spieler im Vordergrund. Von den maximal sechs Personen, die sich zeitgleich auf der Bühne befinden, sind alle immer gleichermaßen präsent.

Eine weitere Besonderheit ist, dass wir in jede Aufführung zum Teil selbst komponierte Musikstücke integrieren. Jede und jeder von uns spielt auf der Bühne also entweder ein Instrument spielt oder singt. Es gibt keine Einspielungen „vom Band“ oder Musikerinnen und Musiker, die uns begleiten.

Kwaschik: Unser Theater ist ein Ort, an dem alle willkommen sind. Es ist eine Art „Zuhause“, im ursprünglichen Sinn des Volkstheaters, wo eine Sprache gesprochen wird, die man versteht und wo man feine und gut zugängliche Theaterkunst erlebt. Wir gehen dabei als Spielerinnen und Spieler eine besondere Verbindung mit dem Publikum ein. Dadurch entstehen intensive und einzigartige Momente. Das berührt die Menschen und hat zur Folge, dass sie wiederkommen und dann meist noch Freunde und Bekannte mitbringen.

Zu Ihren Aufführungen kommen auch erstaunlich viele Jugendliche. Woran liegt das?

Kreyer: Als Klassiker wird Shakespeare natürlich auch an Schulen gelesen, so dass auch viele Schülerinnen und Schüler zu unseren Vorstellungen kommen, auch diejenigen, die zum Beispiel gerade auf Klassenreise in Berlin sind. Umgekehrt gehen wir an Schulen und bieten Jugendlichen mit unseren Workshops einen Einblick in die Theaterwelt. Und wer echte Theaterluft schnuppern will, kann bei unseren Shakespeare-Kids mitmachen und an deren Inszenierungen teilnehmen.

Dass unsere Aufführungen auch bei Jugendlichen so gut ankommen, hat sicher auch mit der Bühnensprache zu tun. Das ist eine weitere Besonderheit bei uns. Wir greifen nicht auf bestehende Übersetzungen zurück, sondern lassen die Stücke eigens für unsere Zwecke übersetzen. Das ist dann keine „gewollt“ moderne Sprache, aber die Dialoge und Monologe sind schon so, dass auch Jugendliche etwas damit anfangen können.

In den Sommermonaten treten Sie in einem Freilichttheater in Berlin auf.

Kreyer: Ja, das ist ein großer Bau in Berlin-Steglitz, direkt neben dem Planetarium und einem Schwimmbad. Dazu gibt es noch einen schönen Biergarten. Den Platz vermieten uns die Berliner Bäderbetriebe für fünf Jahre. Die alte Zuschauertribüne wurde in ein erweitertes Tragwerk eingesetzt, überdacht und mit einer wunderschönen Fassade verkleidet. Das alles ist in diesem Jahr geschehen. Durch den enormen Anstieg der Preise für Holz und Baumaterial drohte das Projekt zwar fast zu kippen. Aber zum Glück lief die Crowdfunding-Aktion, die wir zu dem Zweck gestartet hatten, so erfolgreich, dass wir die Bauarbeiten finalisieren konnten. Und jetzt sieht es einfach wirklich toll aus.

Und was machen Sie im Winter?

Kreyer: Wir fahren zu Gastspielen in anderen Regionen Deutschlands oder auch in die Schweiz und nach Österreich und spielen dort in festen Häusern. Außerdem müssen wir die Sommerspielzeit nachbereiten und die nächste Spielzeit vorbereiten.

Können Sie denn alle von Ihrer Tätigkeit leben oder sind Sie darauf angewiesen, noch andere Engagements zu übernehmen?

Kreyer: Was heißt „angewiesen“? Wir genießen es sehr, dass wir alle viele verschiedene Sachen machen können, ob Synchronsprechen, bei Film und Theater arbeiten oder an Hochschulen unterrichten. Durch diese Tätigkeiten kommen immer wieder jede Menge neue Ideen in die Company.

Trotzdem muss natürlich sichergestellt sein, dass wir während der drei Sommermonate, in denen wir in Vollzeit in der Company spielen, so viel verdienen, dass wir in diesem Zeitraum davon leben können. Die meisten von uns haben Familie. Die können nicht mal eben sagen: „Ist nicht so schlimm, wenn im nächsten Monat weniger reinkommt. Das krieg‘ ich schon irgendwie hin.“ Insofern ist die Frage der Professionalisierung des Spielbetriebs schon wichtig. Trotzdem ist es immer ein Balanceakt. Einerseits muss man an die Zahlen denken, andererseits will man sich künstlerisch verwirklichen. Vielleicht muss man sich eine Zeitlang dem Druck der Zahlen unterwerfen, um dann die Freiheit zu haben, etwas Ausgefalleneres zu inszenieren, dass womöglich kein breites Publikum findet. Die Diskussion haben wir öfter: Welches Stück nehmen wir als nächstes? Können wir es uns leisten, ein Stück aufzuführen, das vielleicht nicht so viele Zuschauerinnen und Zuschauer interessiert?

Sie sprachen bereits die Notwendigkeit eines professionellen Spielbetriebs an. Wie sieht der bei Ihnen aus?

Kwaschik: Für den Betrieb des Spielortes haben wir die Shakespeare in Grün GmbH gegründet, deren Geschäftsführung unser Kollege Stefan Plepp und ich übernommen haben. Die GmbH bietet anders als eine GbR die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung, was bei unseren Jahresumsätzen und dem recht hohen unternehmerischen Risiko sehr sinnvoll ist.

Zu unseren Aufgaben gehört die Koordination und Leitung des Theaterbaus, die Verwaltung oder auch die Bearbeitung von Anträgen. Außerdem sind wir verantwortlich für das Marketing und für alle Abläufe in der gesamten Spielzeit. Das Aufgabenfeld ist also ziemlich groß. Glücklicherweise werden wir aber durch unsere Ensemble-Kolleginnen und -Kollegen sowie inzwischen auch von externen Mitarbeitenden tatkräftig unterstützt. Aber man muss sich dennoch vor Augen führen, dass die Anforderungen an unseren Theaterbetrieb Jahr für Jahr gestiegen sind. Was als Ein-Mann-Projekt vor etwas mehr als 20 Jahren begann, ist nun ein mittelständisches Unternehmen, das im Sommer circa 20 freie Mitarbeitende und die über 17 Ensemble-Mitglieder beschäftigt. Wir sind zwar in den vergangenen Jahren zweifellos alle an den vielfältigen Aufgaben gewachsen, aber unsere künstlerische Arbeit darf darunter natürlich nicht leiden. Wir müssen also sehr genau schauen, was wir selbst an zusätzlichen Aufgaben leisten können und was wir uns abnehmen lassen sollten.

Welche besonderen unternehmerischen Herausforderungen sind Ihrer Erfahrung nach mit dem Führen und Betreiben der Company verbunden?

Kreyer: Das Schwierige ist nicht, die Company „am Laufen zu halten“, sondern der Betrieb des Spielorts, also des Freilichttheaters. Dort sind wir erst seit diesem Jahr, so dass wir jetzt daran arbeiten müssen, unser Publikum, das an den alten Spielort gewohnt war, hierher zu lotsen. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist nicht so perfekt wie bei dem alten Spielort. Man muss auch Verbündete im Umfeld finden. Wir können uns vorstellen, dass zum Beispiel mit dem Planetarium oder den Bäderbetrieben in unmittelbarer Nachbarschaft gute Synergien entstehen können.

Kwaschik: Die größte Herausforderung sehe ich darin, das Theater in den nächsten Jahren generell als Kunstform am Leben zu erhalten. Die Pandemie hat hier sehr viel ins Wanken gebracht. Unsere Chance liegt in unserer Publikumsnähe. Die hilft uns dabei, uns an dem neuen Standort zu etablieren und spielt auch bei unseren Gastspielen eine wichtige Rolle.

Ein freies Theater zu führen und zu betreiben war schon immer ein Drahtseilakt. Die existenzielle Unsicherheit ist Fluch und Segen zugleich. Für uns, wie für alle anderen Theatermacherinnen und -macher auch, geht es vor allem darum, weiter für das Theater zu kämpfen.

Inwiefern hat Ihnen Corona zu schaffen gemacht?

Kreyer: Bei uns sind sehr viele Gastspiele ausgefallen, weil es aufgrund des Lockdowns einfach nicht möglich war zu spielen. Oder es wurden zu wenig Tickets verkauft, so dass die Veranstalter absagen mussten. Das ist immer noch eine große Herausforderung. Die Leute gehen aktuell nicht mehr so viel ins Theater. Das macht uns schon etwas zu schaffen. Jetzt, im Oktober, bereiten wir uns gerade wieder auf unsere Gastspiele vor, aber im Vergleich zu der Zeit vor Corona ist die Zahl der Auftritte wesentlich niedriger.

Haben Sie Fördermittel in Anspruch genommen?

Kwaschik: Ja. Wir haben Mittel aus dem Bundesprogramm Neustart Kultur erhalten, die wir bei der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft, der DTHG, beantragt hatten. Damit konnten wir die Zuschauertribüne erweitern, sodass die Sitzplätze aus Infektionsschutzgründen nun weiter auseinander liegen. Mit Hilfe von Neustart Kultur konnten wir außerdem über den deutschen Bühnenverein unsere Gagen finanzieren. Darüber hinaus haben wir noch eine Förderung für ein Rechercheprojekt im Rahmen des Programms #takecare des Fonds Darstellende Künste e.V. erhalten. Die Mittel wurden ebenfalls aus dem Budget von Neustart Kultur zur Verfügung gestellt, so dass wir die Lockdowns mit künstlerischer Arbeit füllen und die Zwangspause für die Produktionsvorbereitung von Titus Andronicus nutzen konnten.

Haben Sie noch ein, zwei Tipps für all diejenigen, die ein ähnliches Theaterprojekt starten möchten?

Kreyer: Netzwerken spielt eine große Rolle im freiberuflichen Bereich. Man muss sich Verbündete suchen oder sich Verbündeten anschließen. Man sollte sich auch darüber im Klaren sein, wohin die Reise gehen soll. Bei uns ist die Ausrichtung klar: Wir machen Shakespeare und wollen als unabhängiges Ensemble arbeiten. Das bedeutet, unsere Zuschauerinnen und Zuschauer wissen genau, was sie erwartet. Diese klare Botschaft nach außen hin zu vermitteln, ist meiner Erfahrung nach, sehr wichtig.

Kwaschik: Man muss sich außerdem zu Beginn klar darüber sein, warum man sich auf diesen Weg begeben möchte. Die Motivation ist ein wichtiger Faktor. Neben dem Netzwerken sollte man sich zügig Partner suchen und verbindliche Beziehungen aufbauen, um dann mit einer wirklich guten Planung sein Projekt aufbauen.

Stand: Oktober 2022