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04.07.2024 -

„Professionalisierung bedeutet nicht nur, sich musikalisch weiterzuentwickeln, sondern sich auch mit den Strukturen und Herausforderungen der Musikbranche vertraut zu machen.“ Interview mit Katja Lucker, Geschäftsführerin der Initiative Musik gGmbH

Einleitung

Katja Lucker

Katja Lucker

© Roland Owsnitzki

Der Musikmarkt hat im vergangenen Jahr zugelegt: weltweit und auch in Deutschland. Ursache dafür ist das boomende Streamingbusiness. Wer genau davon profitiert und wie es darüber hinaus auf dem deutschen Musikmarkt aussieht, erklärt Katja Lucker, Geschäftsführerin der Initiative Musik gGmbH, der zentralen Fördereinrichtung der Bundesregierung und der Musikbranche.

Frau Lucker, der aktuelle Report „Musikindustrie in Zahlen“ des Bundesverbandes Musikindustrie stellt fest, dass die Musikindustrie in Deutschland weiter auf Wachstumskurs ist. Der Umsatz aus dem Verkauf von Musik belief sich 2023 auf 2,21 Milliarden Euro, wobei über 80 Prozent vor allem mit Audio-Streaming erzielt wurde. Eine gute Nachricht?

Lucker: Insgesamt ist das natürlich erstmal eine gute Nachricht. Streaming ist auf jeden Fall ein entscheidender Wachstumstreiber. Aber man muss schon genau hinschauen, wer davon profitiert. Das sind in erster Linie bekannte Musikerinnen und Musiker, die gut im Geschäft sind. Wer weniger erfolgreich bzw. bekannt ist, muss sich mit einem geringeren Anteil an den Streamingeinnahmen begnügen. Und am schwierigsten ist es für den Nachwuchs. Der profitiert nur in geringem Maß bis gar nicht von dem Streamingboom.

Woran liegt das?

Lucker: Bekannte Musikerinnen und Musiker haben gegenüber den Streamingplattformen ein gewisses Standing. Da werden die Anteile an den Einnahmen individuell ausgehandelt. Eine Billie Eilish oder eine Taylor Swift hat natürlich eine ganz andere Marktmacht als meinetwegen eine Band, die weniger erfolgreich international ist. Dementsprechend werden die Vergütungen ausgehandelt.

Dann gibt es natürlich auch Musikrichtungen, wie K-Pop, Hip-Hop und Deutsch-Rap, die teilweise extrem schnell sehr erfolgreich auf den Plattformen gestreamt werden, oft mit sehr jungen Zielgruppen im Hintergrund. Da gibt es Acts, die sich innerhalb kurzer Zeit einen Namen gemacht haben und beim Streaming sehr gut dabei sind. Letztlich ist das Thema sehr komplex. Das ist sicher auch der Grund, warum so viel darüber diskutiert und gestritten wird, wobei die Verhandlungen eben oftmals ohne diejenigen geführt werden, um die es eigentlich geht – nämlich das Gros der Artists.

Wird der Erfolg der Streamingplattformen dazu führen, dass zukünftig nur noch bestimmte Musikrichtungen gehört werden?

Lucker: Nein, das glaube ich nicht. Die Musikwirtschaft ist ja ungeheuer vielfältig. Da gibt es die Musikerinnen und Musiker, die Komponistinnen und Komponisten, die Songwriter und natürlich auch die Clubs, die Live Venues, also Spielstätten, die Festivals usw. Unser Auftrag ist es ja unter anderem auch, dass diese Vielfalt erhalten bleibt. Wir versuchen dazu beizutragen, dass wir nicht in eine rein Algorithmus-getriebene Ausspielung und Verwertung kommen, sondern dass es auch weiterhin unterschiedliche Musikarten gibt und dass neben den Artists eben auch die kleineren Venues gefördert werden. Man muss sich einfach darüber klar sein, dass an den kleineren Orten die Musik von morgen gespielt wird. Ein großes Festival wird dagegen erstmal warten, wie sich ein Nachwuchsact entwickelt, bevor er gebucht wird. Das machen traditionell die kleineren Orte. Die zurückliegende Pandemie und Inflation sowie die aktuellen militärischen Konflikte haben das Ausgehverhalten verändert, die Menschen überlegen einfach mehr, wofür sie ihr Geld ausgeben. Insofern stehen wir jetzt vor der großen Herausforderung, die kleineren Spielstätten und Festivals auch gerade in den ländlichen Regionen zu unterstützen.

Wie sieht es mit den Musikerinnen und Musikern aus? Wie bekommen die trotz der von Ihnen beschriebenen Probleme einen Fuß in die Tür?

Lucker: Das ist eine Gemengelage aus Talent, Durchhaltevermögen, Glück, zur richtigen Zeit die richtigen Leute kennenlernen und in Kauf nehmen, dass es einfach ein längerer Weg ist. Was auf jeden Fall hilft, ist, sich von Anfang an so professionell wie möglich aufzustellen und sich darüber zu informieren, wie das Musikbusiness funktioniert. Professionalisierung bedeutet ja nicht nur, sich musikalisch weiterzuentwickeln, sondern sich auch mit den Strukturen und Herausforderungen der Musikbranche vertraut zu machen. Ich muss also wissen, wo ich mich anmelden muss, welche Steuern ich zahlen muss oder auch, welche Rolle die GEMA, die GVL und so weiterspielen. Es gibt mittlerweile sehr viele kostengünstige oder auch kostenfreie Informationen. In jedem Fall aber braucht man eine gute Portion Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen, um seinen Weg zu machen und bestehen zu können. Die Konkurrenz ist einfach sehr, sehr groß.

Werden diese unternehmerischen Aufgaben nicht vom Management oder einer Agentur übernommen?

Lucker: Erst, wenn man eine gewisse Größe erreicht hat. Dann haben die meisten Artists ein Management, eine Agentur oder ein Label, die diese Aufgaben übernehmen. Die große Herausforderung ist aber, dass man erst mal so weit kommen muss, dass jemand mit einem arbeiten möchte. Das ist schwierig, weil der Markt einfach überschwemmt ist. Ich weiß von Managements, die sagen, schlag uns bloß keine neuen Leute vor, wir haben mehr als genug. Natürlich gibt es immer mal wieder Musikerinnen und Musiker, die unglaublich tolle Sachen machen oder so innovativ sind in ihrer Kunst, dass sich alle um sie reißen. Aber das sind dann eher die Ausnahmen.

Umso wichtiger ist es, sich auch über geeignete Förderprogaramme zu informieren. Gerade die Initiative Musik hat für junge Musikerinnen und Musiker ja einiges zu bieten.

Lucker: Ja, dazu gehört vor allem die Künstler:innenförderung, das bundesweit größte Förderprogramm für Musikerinnen und Musiker. Damit unterstützen wir seit fast 16 Jahren Solokünstlerinnen, Solokünstler und Bands sowie Autorinnen und Autoren, die auf dem deutschen und internationalen Musikmarkt Fuß fassen möchten. Konkret fördert das Programm die Bereiche Komposition und Konzeption, Produktion und Aufnahme, Tonträgerherstellung, Videos und Contentproduktion sowie Promotion, Marketing und Touren. Bewerben können sich junge professionelle Musikerinnen und Musiker, die allerdings schon ein gewisses Level erreicht haben müssen.

Bietet die Initiative Musik neben der Künstler:innenförderung noch weitere Förderprogramme an?

Lucker: Aber ja! Mit der Livemusikförderung unterstützen wir beispielsweise Clubs und Festivals. Bei der Exportförderung erhalten Musikerinnen und Musiker eine finanzielle Unterstützung für Auftritte im Ausland. Außerdem fördern wir damit auch kleine und mittlere Unternehmen aus der Musikbranche. Darüber hinaus liegt in unseren Händen die Umsetzung des Deutschen Jazzpreises sowie des APPLAUS, der „Auszeichnung der Programmplanung unabhängiger Spielstätten“. Nicht zu vergessen POLYTON und die dazugehörende Akademie, die ganz großartige in Deutschland lebende und arbeitende Musikerinnen und Musikern vereint. Die neue Auszeichnung richtet sich an besondere künstlerische Leistungen von Musikschaffenden in der Popmusik. Das ist aber bei weitem noch nicht alles. Hinzu kommen noch weitere Programme sowie Events und Beratungsangebote.

Eine ganz besondere Förderung richtet sich an Bands, die am SXSW – South by SouthWest im texanischen Austin teilnehmen möchten. Was ist das Besondere an diesem Event?

Lucker: Die SXSW ist eines der größten Showcase-Festivals der Welt. Unsere Teilnahme daran wird durch das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt. Das ist für uns sehr wichtig und großartig. Wir hatten allein in diesem Jahr 18 Acts aus Deutschland dabei, sieben davon haben wir in zwei German Showcases für elektronische und neoklassische Musik im Rahmen des SXSW-Musikprogramms präsentiert. Mit der Teilnahme an der SXSW haben die Acts eine einzigartige Plattform erhalten, um sich international zu vernetzen und sich unter anderem gegenüber den sogenannten Buyern, also denjenigen, die im Auftrag der großen Labels die Musik einkaufen, zu präsentieren. 

Der nächste SXSW findet vom 7. bis 15. März 2025 statt. Können sich Bands aus Deutschland wieder dafür bewerben?

Lucker: Auf jeden Fall. Die Bewerbungsphase startet ab dem 25. Juni 2024. Die Bewerbung ist kostenpflichtig, aber interessierte Musikerinnen, Musiker und Bands, die sich vorab bei uns melden, haben die Chance auf einem Coupon für eine kostenlose Bewerbung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Die Band bzw. die Musikerinnen oder Musiker sollten zum Beispiel bereits Kontakte und erste Erfahrungen in den USA gesammelt haben, vielleicht ist sogar die erste US-Tour bereits in Planung. Denn eine Teilnahme an der SXSW ist nur sinnvoll, wenn der Zeitpunkt gerade richtig ist. Die endgültige Entscheidung wird durch das Bookingteam der SXSW getroffen, mit denen wir im engen Austausch stehen. Die Bands, die von der SXSW ausgewählt werden und eine Einladung für das offizielle Showcase-Programm der SXSW erhalten, können dann dafür eine finanzielle Unterstützung für die Reisekosten über unsere Internationale Tourförderung beantragen. Auch Managerinnen, Manager oder sonstige Musikunternehmen können eine Förderung erhalten, wenn sie ihre Bands nach Austin begleiten oder den US-Markt vorab auskundschaften wollen. In allen Fällen entscheidet unsere Exportjury, welche Projekte eine Exportförderung erhalten. 

Neben der Förderung durch die Initiative Musik gibt es noch weitere interessante Angebote für Musikerinnen und Musiker. Ein Blick darauf lohnt sich, oder?

Lucker: Keine Frage, beruflich selbstständige Musikerinnen und Musiker sollten sich unbedingt die bundesweite und regionale Förderlandschaft anschauen. Dazu gehört zum Beispiel der Musikfonds, der vor allen Dingen avantgardistische Musik fördert. Dann gibt es zahlreiche regionale Angebote wie das Musicboard Berlin, die RockCity Hamburg, das Pop-Büro Stuttgart usw. Der Deutsche Musikrat und auch die Popakademie Baden-Württemberg bieten mit dem Popcamp und dem Bandpool Coaching-Programme für ambitionierte Bands und Solokünstlerinnen und -künstler an.

Stand: Juni 2024

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