Navigation

26.08.2024 -

„Laut unserer Studie ‚KI und bildende Kunst‘ erachten über 90 Prozent der Befragten die Forderung nach Transparenz und Vergütung für absolut notwendig.“ Interview mit Dr. Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds, und Katharina Uppenbrink, Geschäftsführerin der Initiative Urheberrecht

Einleitung

Dr. Karin Lingl und Katharina Uppenbrink

v.l.n.r. Dr. Karin Lingl und Katharina Uppenbrink

© Privat (Dr. Karin Lingl), © IU©gezett (Katharina Uppenbrink)

Welche Auswirkungen hat Künstliche Intelligenz (KI) auf die bildende Kunst? Welche Chance und Risiken verbinden Künstlerinnen und Künstler damit? Diese und weitere Fragen beantwortet die im Juni 2024 erschienene Studie „KI und bildende Kunst“. Die Stiftung Kunstfonds und die Initiative Urheberrecht hatten die Goldmedia GmbH mit der Erhebung beauftragt. Im folgenden Interview stellen Dr. Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds, und Katharina Uppenbrink, Geschäftsführerin der Initiative Urheberrecht, die wichtigsten Ergebnisse vor.

Frau Dr. Lingl, Frau Uppenbrink, die Studie „KI und Bildende Kunst“ wurde von der Stiftung Kunstfonds und der Initiative Urheberrecht in Auftrag gegeben. Was waren die Gründe dafür?

Dr. Lingl: Der unmittelbare Auslöser war, dass sehr viele bildende Künstlerinnen und Künstler mit KI als neuem Medium experimentieren. Dennoch wussten wir als Fördereinrichtung der Kunstszene nicht, was da eigentlich genau passiert. Wer greift auf was zu? In welchem Umfang wird KI genutzt? Usw. Zudem haben wir eine gewisse Unruhe in der Szene wahrgenommen. Viele Künstlerinnen und Künstler haben sich gefragt, wie sich diese Technologie zukünftig auf ihre Arbeit, ihre Einkommen und den Kunstmarkt insgesamt auswirken wird. Wir haben gesehen, dass in anderen Bereichen, wie der Literatur, der Publizistik und der Musik schon wesentlich konkreter über die Folgen diskutiert wird und Forderungen nach einem Regelwerk gestellt werden. Insofern haben wir in der Bildenden Kunst einen gewissen Nachholbedarf gesehen, uns mit dem Thema KI und bildende Kunst näher zu beschäftigen.

Uppenbrink: Es gab bisher einfach keine Datenbasis zur aktuellen Situation von bildender Kunst und Künstlicher Intelligenz. Mit der Studie haben wir nun eine Momentaufnahme des Zeitraums Oktober 2023 bis April 2024, so dass wir den aktuellen Diskurs ergänzen und Forderungen an die Politik stellen können. Ganz ähnlich übrigens wie die GEMA und die französische Verwertungsgesellschaft SACEM, deren Studie „KI und Musik“ im Januar 2024 erschien.

Ihre Studie wurde im Juni 2024 veröffentlicht. Welche der Ergebnisse würden Sie hervorheben?

Dr. Lingl: Zunächst einmal macht die Studie deutlich, welche Chancen und welche Risiken mit generativer KI in der bildenden Kunst verbunden werden. Generative KI ist – kurz erklärt – in der Lage, neue Texte, Bilder, Musikstücke, Videos usw. zu erstellen. Grundlage dafür sind bestehende Texte, Bilder usw., die im Internet zu finden sind und ungefragt als Trainingsmaterial von den KI-Betreibern genutzt werden. Auf deren Grundlage basieren zum Beispiel KI-Tools, die immerhin von 43 Prozent der befragten Künstlerinnen und Künstler und 49 Prozent der Rezipientinnen und Rezipienten als hilfreich eingeschätzt werden. Bildende Künstlerinnen und Künstler nutzen KI-basierte Tools zur Bildbearbeitung, Retusche, Dokumentation, Archivierung oder als Inspirationsquelle für neue Ideen.

Zugleich aber erzeugt KI auch eine große Unsicherheit in der Szene, weil niemand weiß, wie die Technologie das Berufsbild und den Markt beeinflussen wird. Über 40 Prozent der befragten Künstlerinnen und Künstler haben eine nicht eindeutige oder negative Einstellung zum Einsatz von KI in der bildenden Kunst. Wobei die Vorbehalte von Künstlerinnen und Künstlern, die im Bereich Video- bzw. digitaler und zeitbasierter Kunst arbeiten geringer sind als in der Malerei und Bildhauerei/Skulptur, wo bedruckte Leinwände und mit 3-D-Druckern generierte Skulpturen zunehmen. Künstlerinnen und Künstler fürchten insgesamt eine Überflutung des Kunstmarktes mit generierten KI-Produkten mit der Folge, dass ihre Werke zunehmend vom Markt verdrängt werden. Damit verbunden sind nicht nur Einkommensausfälle, auch der Person der Künstlerin bzw. des Künstlers droht ein zunehmender künstlerischer Bedeutungsverlust.

Und diese Befürchtungen haben nichts mit einer möglichen Technikfeindlichkeit zutun, die der Kunstszene zum Teil unterstellt wird?

Uppenbrink: Nein, das ist ein Vorurteil, das leider immer wieder in Diskussionen zu hören ist. Unseren Leuten wird häufig entgegengesetzt, sie seien nicht technikaffin oder gar innovationsfeindlich. Das stimmt nicht. Im Gegenteil! Viele Künstlerinnen und Künstler, nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Bühnenkunst, im Audiovisuellen oder der Musik, sind Early Adopters. Die springen sehr früh auf neue Entwicklungen auf, gerade auch im Bereich der Digitalisierung. Es herrscht also eine große Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Innovationen. Nur: Wir möchten, dass die Tech-Unternehmen umgekehrt genauso auch die Werke der Künstlerinnen und Künstler wertschätzen und nicht einfach als kostenloses „Trainingsmaterial“ für ihre KI betrachten.

Kann Künstliche Intelligenz denn überhaupt Kunstwerke schaffen?

Uppenbrink: Laut Urhebergesetz nein. Paragraph 2 legt fest, dass an einem künstlerischen Werk ein Mensch beteiligt sein muss. Der kann natürlich digitale Tools zu Hilfe nehmen, aber die künstlerische Hoheit liegt bei ihm. Von daher kann die KI allein kein Werk erstellen. Es handelt sich vielmehr um ein Produkt, das aus einer Unmenge an Daten in Form von Bildern, Stilen, Farben, Techniken zusammengestellt wurde. Ein Werk ist dagegen unmittelbar mit der Person der Künstlerin bzw. des Künstlers verbunden. Die Person entscheidet, welchen Anteil die KI oder andere Technik an ihrem Werk hat, in welchem Kontext es entstanden ist, wie es inhaltlich einzuordnen ist.

Der künstlerische Schaffensprozess könnte also zukünftig so aussehen, dass Künstler und Künstlerinnen ein KI-basiertes Bild, das sie durch einen Prompt erzeugt haben, bewerten und dadurch zum Kunstwerk „erheben“?

Dr. Lingl: Dieser Prozess ist gar nicht so neu. Denken Sie an Marcel Duchamp, der vor etwa 100 Jahren mit seinen Readymades vorgefertigte industrielle Gegenstände, wie zum Beispiel einen Flaschentrockner oder ein Urinal, zur Kunst erklärt hat. Nur: Diese künstlerische Herangehensweise hat in der Vergangenheit immer auch zu einem gegenteiligen Effekt geführt: Das Handwerkliche hat dadurch einen neuen Stellenwert bekommen. Das Authentische, das Unikat, das Handmade oder wie auch immer man es nennen möchte, wurde letztlich immer höher bewertet als das industriell hergestellte Produkt. Warum soll dieser Effekt nicht auch bei digitalen Erzeugnissen eintreten? Voraussetzung dafür ist aber natürlich, dass die Werke für Außenstehende ganz klar als digital bzw. „handmade“ gekennzeichnet sind.

Das würde zu der Forderung nach Transparenz gehören, für die sich zusammen mit der Forderung nach einer fairen Vergütung alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Ihrer Studie sehr deutlich aussprechen.

Dr. Lingl: Ja, über 90 Prozent der Befragten erachten die Forderung nach Transparenz und Vergütung für absolut notwendig. Genauso, wie übrigens die Vertreterinnen und Vertreter aus der Musikbranche. Auch im Bereich Text bzw. Literatur gibt es diese Forderungen schon länger. Es braucht also Regularien. Darin sind sich Urheberinnen, Urheber, Verwerterinnen, Verwerter, aber auch Rezipientinnen und Rezipienten und alle weiteren Akteurinnen und Akteure des Kunstmarktes einig. Das war für uns keine Überraschung, hat sich durch die Studie aber jetzt noch einmal bestätigt. Diejenigen, die die inhaltliche Basis für die KI-Betreiber bereitstellen, wollen auch am Gewinn beteiligt werden. Außerdem möchten sie wissen, welche ihrer Werke für das Training von KI eingesetzt werden. Und sie möchten auch die Möglichkeit haben, eine solche Nutzung zu verbieten.

Uppenbrink: Mit dieser Forderung steht die Bildende Kunst nun in einer Reihe mit der Musik, der Literatur und Publizistik. Wobei wir nicht nur über die Urheberinnen und Urheber bzw. Künstler und Künstlerinnen sprechen, sondern über die Kultur-, Kreativ- und Medienbranche insgesamt. Wir waren noch nie so geeint. Das zeigt auch der Brief, den die gesamte Branche an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli 2024 veröffentlicht hat, worin es genau darum geht: Transparenz und Lizenzierung bzw. Vergütung.

Sie sagen, es braucht ein Regelwerk, um ein faires Transparenz- und Vergütungssystem zu etablieren. Damit es tatsächlich wirkt, müsste das Ganze aber global umgesetzt werden. Es müssen also unglaublich dicke Bretter gebohrt werden.

Uppenbrink: Das schon, aber uns stimmt optimistisch, dass die EU häufig eine Vorreiterrolle einnimmt. Es gibt den sogenannten Brussels Effekt, also die Übernahme von Rechtsnormen, Regulierungsmaßnahmen und Standards der Europäischen Union außerhalb des Binnenmarktes. Auf den hoffen wir.

Das setzt natürlich voraus, dass es auf EU-Ebene ein wirksames Regelwerk im Sinne des Kunstmarktes und der Urheberinnen und Urheber gibt. Immerhin, ein paar Lichtblicke sehen wir schon. Bei unseren vielen Gesprächen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben wir deutlich gemerkt, dass die meisten von der Bedeutung der Kultur- und Kreativbranche überzeugt sind, nicht nur in ökonomischer, sondern auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht. Es geht dabei nicht nur ums Urheberrecht. Es geht genauso um den Datenschutz, um Medienrechte und vieles mehr. Das wurde auch erkannt. Natürlich wünschen wir uns, dass die ganzen gesetzgeberischen Prozesse viel schneller laufen würden angesichts der Tatsache, dass es wirklich brennt! Viele Branchen verzeichnen schon jetzt horrende Einbrüche und die Prognosen lassen nichts Gutes ahnen …

Dr. Lingl: Laut unserer Studie sehen 53 Prozent der Befragten durch KI die Lebensgrundlage von bildenden Künstlerinnen und Künstler gefährdet. KI-Bild-Generatoren werden voraussichtlich bis 2028 die Einnahmen bildender Künstlerinnen und Künstler bis zu 10 Prozent schmälern. Wenn man weiß, dass die Einkommen von bildenden Künstlerinnen und Künstlern ohnehin sehr niedrig sind, also nah beim Existenzminimum liegen, bedeutet ein Minus von 10 Prozent natürlich sehr viel. Im Bereich der Fotografie rechnen die Befragten sogar mit 40 Prozent Mindereinnahmen durch generative KI.

Uppenbrink: Bei der KI-Verordnung haben wir es tatsächlich geschafft, als Kultur-, Kreativ- und Medienbranche den Aspekt der Transparenz mit einzuflechten. Bezuggenommen wird auch auf das europäische Urheberrecht, das damit ebenfalls für KI-generierte Werke gilt. Aktuell wird außerdem das sogenannte AI Office aufgebaut. Es soll die Entwicklung und den Einsatz vertrauenswürdiger KI sowie die internationale Zusammenarbeit fördern. Trotzdem gibt es natürlich noch viele Leerstellen. Großen Handlungsbedarf sehen wir zum Beispiel bei der Frage der Vergütung. Sehr kritisch sehen wir darüber hinaus den großen Einfluss der US-amerikanischen Tech Unternehmen auf die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in den Parlamenten – und auch auf die Mitarbeitenden des neuen AI Office. Das bedeutet, wir müssen mit unseren europäischen Partnerorganisationen noch enger zusammenarbeiten und entsprechenden Gegendruck erzeugen und viel Aufklärungsarbeit betreiben. Das probieren wir auch über unsere Nationalstaaten. Im Übrigen hat die Initiative Urheberrecht zu einigen grundsätzlichen Fragen ein Tandemgutachten an einen Rechts- und einen KI-Wissenschaftler in Auftrag gegeben. Das Ergebnis wird im September 2024 in Brüssel vorgestellt – ich kann jetzt schon versprechen, dass es viel Aufsehen erregen wird!

Wie könnte denn ein faires Vergütungs- und Transparenzsystem aussehen. Gibt es da schon Ideen?

Uppenbrink: Bei der Frage der Transparenz, lässt sich die Forderung auf einen Nenner bringen: Die KI-Betreiber müssen offenlegen, welche Werke sie zu Trainingszwecken nutzen. Und die Inhaberinnen und Inhaber der Urheberrechte, also alle Rechteinhaber, müssen die Möglichkeit haben, die Nutzung zu untersagen. Wird die Nutzung erlaubt, muss sie vergütet werden. Wie das aussehen kann, lässt sich noch nicht voraussagen. Da ist jede Branche für sich gefordert, Lösungen für ein sinnvolles Vergütungssystem zu entwickeln. Die Branchen sind einfach zu unterschiedlich, als dass es da ein einziges System geben könnte.

Dr. Lingl: Und letztlich muss auch eine Kennzeichnung der KI-Produkte erfolgen, damit die Rezipientinnen und Rezipienten von Kunst, die Galerien, Museen, Sammlerinnen und Sammler usw. wissen, womit sie es zu tun haben. Das sind sozusagen die Pflöcke, die unserer Ansicht nach im EU-Recht eingeschlagen werden müssen. Neben diesen gesetzlich vorgegebenen Leitplanken sollte den verschiedenen Akteurinnen und Akteure dann aber immer noch genug Beinfreiheit bleiben, um sich untereinander auf praktikable Spielregeln zu einigen.

Immerhin haben Sie schon einen Fuß in der Tür.

Uppenbrink: Das schon, aber es ist ja leider wie bei David gegen Goliath. Die digitale Tech Industrie hat die meisten Lobbyisten in Brüssel, mehr als die Pharmaindustrie, mehr als die Autoindustrie und natürlich sehr, sehr viel mehr als die Kultur- und Kreativwirtschaft. Es geht eben wie so oft ums Geld …

Dr. Lingl: … und weniger um immaterielle Werte. Aber genau die spielen in der Kunst eine sehr große Rolle. Der immaterielle Wert von Kunst für unsere Kultur, unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaft ist kaum zu beziffern. Gleichwohl ist er unglaublich groß. Das wird niemand bestreiten. Um diesen Wert zu erhalten, ist es umso wichtiger, der Marktmacht der Tech-Branche ein Regulativ entgegenzuhalten, das den vielen Urheberinnen und Urhebern künstlerischer Werke sozusagen ein faires Stück vom Kuchen sichert. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass unsere gesellschaftlichen Werte und der gesellschaftliche Zusammenhalt deutlich ins Wanken geraten. Insofern denke ich, dass es sich die Politik nicht leisten kann, die Stimmen der Künstlerinnen und Künstler zu überhören.

Stand: August 2024

Weiterführende Informationen