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18.10.2024 -

„Wir legen großen Wert darauf, unsere Erkenntnisse in praxisnahen Leitfäden auch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“ Interview mit Uta Schnell und Dr. Sebastian Brünger von der Kulturstiftung des Bundes

Einleitung

Keyvisual für das Programm der Kulturstiftung des Bundes für klimaneutrale Produktionen

Keyvisual für das Programm der Kulturstiftung des Bundes für klimaneutrale Produktionen

© Kulturstiftung des Bundes / Gestaltung: Boros

Die Kulturstiftung des Bundes ist eine der größten Kulturstiftungen Europa, die von der öffentlichen Hand gefördert werden. Ihre Hauptaufgabe ist es, innovative Programme und Projekte im internationalen Kontext zu fördern. Dabei widmet sie sich auch immer wieder selbst gewählten Schwerpunkten. Dazu gehören unter anderem die Themen ökologische Nachhaltigkeit, Klima sowie Diversität in der Kulturszene. Entwickelt wurden dafür eine Reihe von Förderprogrammen, von deren Erfahrungen auch nicht-geförderte Akteurinnen und Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft profitieren können. Wir haben darüber mit Uta Schnell, Leiterin „Förderung und Programme“, und Dr. Sebastian Brünger, zuständig für die Programmentwicklung Klima und Nachhaltigkeit, gesprochen.

Frau Schnell, die Kulturstiftung des Bundes wurde im März 2002 gegründet. Warum wurde sie damals ins Leben gerufen?

Schnell: Die Kulturstiftung des Bundes wurde von Anfang an als Ergänzung zur bereits vielfältigen und natürlich weitaus umfangreicheren Kulturförderung der Länder gedacht. Mit rund 80 Prozent der Kulturförderung übernehmen die Länder und Kommunen den Löwenanteil der Kulturfinanzierung unserer reichen Theater, Museen- und Orchesterlandschaft, aber auch der Freien künstlerischen Szenen vor Ort. Unser Fokus liegt – ergänzend – auf der Unterstützung besonders innovativer sowie internationaler kultureller Projekte, die über regionale Grenzen hinaus wirken. Übrigens hat die Kulturstiftung ihren Sitz in Halle an der Saale, was damals ein wichtiges Zeichen war und sich bis heute bewährt hat.

Wie sieht Ihr Förderprofil aus? Was sind die Ziele und wer kann gefördert werden?

Schnell: Unsere Förderung basiert auf drei Säulen: In der Allgemeinen Projektförderung fördern wir große Ausstellungen der zeitgenössischen visuellen Künste mit internationaler Ausstrahlung sowie Theater, Konzert- und Literaturprojekte. Von Anfang waren wir überzeugt: Mit dieser Spartenoffenheit entsprechen wir der zeitgenössische Kunstproduktion. Seit unserer Gründung haben wir rund 4.000 internationale Projekte der Gegenwartskunst gefördert. Wir fördern keine Einzelkünstler und -künstlerinnen, sondern Projekte ab 50.000 Euro. Bei den Projekten ist es, wie in fast all unseren Programmen, erforderlich, eine Ko-Finanzierung mitzubringen. Über die Förderanträge entscheidet der Vorstand auf Empfehlung einer unabhängigen spartenübergreifenden Fachjury. Diese Jury wechselt alle drei Jahre. Damit stellen wir sicher, dass eine unabhängige Auswahl stattfindet, die Qualität und künstlerische Bandbreite der geförderten Projekte gewährleistet.

Die zweite Säule sind die sogenannten „Kulturellen Leuchttürme“. Hier fördern wir kulturelle Spitzeneinrichtungen und Veranstaltungsreihen und ermöglichen ihnen mehrjährige Planungssicherheit. Dabei handelt es sich um herausragende internationale Projekte, die als Vorbilder in ihrer Sparte gelten und große Sichtbarkeit haben, wie das Theatertreffen, die Berlin Biennale oder die Donaueschinger Musiktage.

Mit der dritten Säule setzen wir eigene Schwerpunkte, die wir in bis zu einjährigen Recherchen und im Dialog mit der Kulturszenen identifizieren und entwickeln. Unsere Förderinitiativen und Programme widmen sich beispielsweise den Themen Klimaschutz, Digitalisierung, ländliche Räume, transkontinentale Kooperationsförderung oder – ganz aktuell – Kunst und KI.

Die Stiftung setzt also eigene Schwerpunkte, die sie im Rahmen von Gesprächen und Recherchen mit der Kulturszene entwickelt. Können Sie das anhand des Themas Nachhaltigkeit genauer erläutern?

Dr. Brünger: Als Kulturstiftung beschäftigen wir uns schon seit Längerem mit der Frage, wie die Kulturszenen in Deutschland ökologisch nachhaltiger werden können. Das tun wir zum einen, indem wir künstlerische Projekte fördern, die sich thematisch mit Ökologie und insbesondere Klimawandel beschäftigen. Zum anderen geht es uns aber auch um die Produktionsbedingungen von Kunst: Welchen ökologischen Fußabdruck hat eine Kunstausstellung oder eine Operninszenierung? Als 2019 Fridays For Future auf die Straße ging, haben sich das immer mehr Kulturschaffende gefragt – uns allen fehlten aber damals Daten und Wissen darüber. Deshalb haben wir ein Pilotprojekt aufgesetzt, das knapp zwanzig Kultureinrichtungen dabei unterstützt hat, den eigenen CO₂-Fußabdruck zu ermitteln. Gute Vorbilder zu dieser Art von Klimabilanzierung kamen damals aus England, wo es das geflügelte Wort gibt: „What you measure you will manage.“ Nur, wer seine Emissionen kennt, kann Ideen entwickeln, wo und wie man sinnvoll etwas verbessern kann. Inzwischen ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit und Reputation geworden, dass man sich mit dem eigenen ökologischen Fußabdruck beschäftigt und sich bemüht, Emissionen zu reduzieren. Das trifft ja auch für die Kreativwirtschaft zu.

Und wenn man sich einen Überblick verschafft hat, wo kann man dann konkret Emissionen einsparen?

Dr. Brünger: Die größten Klima-Treiber im Kultursektor sind Gebäude, Material und Mobilität – hier insbesondere die Anreise des Publikums. Manche Dinge lassen sich leichter verändern als andere. Einige Kultureinrichtungen können zum Beispiel nicht selbst über einen Wechsel auf Öko-Strom entscheiden, und dem eigenen Publikum kann man auch nicht vorschreiben, auf das Auto zu verzichten. Nachdem wir eine bessere Vorstellung hatten, wie man den Status Quo erfassen kann, haben wir dann ab 2022 mit dem Programm „Zero“ Kultureinrichtungen darin unterstützt, klimaneutrale Produktionsformen zu erproben. In der ersten Runde war die Nachfrage nach Förderung so groß, dass wir in diesem Jahr noch eine zweite Runde aufgesetzt haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Oper Leipzig etwa hat Ende 2023 mit „Mary, Queen of Scots“ erstmalig eine klimaneutrale Operninszenierungen im eigenen Haus auf die Bühne gebracht.

Die genannten Programme richten sich eher nicht an Akteurinnen und Akteure der Kreativindustrie und sind derzeit auch nicht mehr offen für Anträge. Kann man denn irgendwo etwas über die Ergebnisse erfahren?

Dr. Brünger: Wir bekommen erfreulich viele Rückfragen zu unseren Nachhaltigkeitsinitiativen. Deswegen legen wir großen Wert darauf, unsere wichtigsten Erkenntnisse in praxisnahen Leitfäden auch einer breiteren Öffentlichkeit kostenlos auf unserer Webseite zur Verfügung zu stellen. Außerdem organisieren wir regelmäßig Akademien, an denen neben unseren geförderten Projekten auch andere Institutionen der Kulturszene teilnehmen können und auch Interessierte aus der Kreativwirtschaft herzlich willkommen sind.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der sich auch auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit machen möchte, aber nicht weiß, wie?

Dr. Brünger: Da würde ich erstmal den Titel eines unserer Leitfäden zitieren: Er heißt „Einfach machen!“ und das fasst das Wichtigste schon zusammen. In diesem Leitfaden stehen konkrete Empfehlungen, wie Künstlerinnen und Kulturinstitutionen direkt und rechtskonform loslegen können. „Rechtskonform“ sage ich deshalb, weil viele öffentlich geförderte Einrichtungen oft zum Beispiel nicht wissen, dass bei eingekauften Produkten und Dienstleistungen vergaberechtlich nicht allein der Preis entscheidend ist – es muss also nicht immer das billigste Angebot sein. Auch Umweltfreundlichkeit darf ein Kriterium bei der Kaufentscheidung sein. Für den Start in die Nachhaltigkeit haben wir daher einen Kompass für ökologisch nachhaltiges Produzieren entwickelt, der fortlaufend aktualisiert wird und ebenfalls auf der Webseite der Kulturstiftung zur freien Verfügung steht. Auch wer zunächst noch eine Klimabilanz für sein Haus erstellen will, wird fündig in der Dokumentation unseres Pilotprojekts. Dort gibt es neben Erfahrungsberichten und Arbeitsmaterial auch eine Vorlage für eine eigene Bilanzierung zum Herunterladen. Zudem waren wir auch Teil einer bundesweiten Arbeitsgruppe, die einen kostenfreien CO₂-Rechner für die Kultur entwickelt hat.

Das neueste Programm, das Sie durchführen, schaut noch weiter in die Zukunft. Unter dem Titel „Klimaanpassung“ befassen sich derzeit zwanzig Kultureinrichtungen mit der Frage, was man schon jetzt tun kann, um sich auf die vorhersehbaren Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Zeichnen sich schon erste Ergebnisse ab?

Dr. Brünger: Ja, auch der Kultursektor ist zunehmend von den Folgen des Klimawandels betroffen. Starkregen und Hochwasser etwa haben bereits an manchen Orten zu teils massiven Schäden an Museumsgebäuden und Kunstobjekten geführt. Extreme Hitzeperioden sind eine enorme Belastung für Mitarbeiterschaft wie Publikum und bedrohen akut die Biosysteme von historischen Schloss- und Gartenanlagen. In unserem einjährigen Lern- und Beratungsprozesses werden zurzeit die spezifischen Klimarisiken für zwanzig Kultureinrichtungen erarbeitet. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass für alle insbesondere das Thema „starke Hitze“ wichtig ist und in den kommenden Jahren noch wichtiger werden wird.

Es ist absehbar, dass in vielen Fällen (teure) bauliche Anpassungen notwendig werden – zum Beispiel für weniger versiegelte Flächen und mehr Grün. Man kann aber auch schon viel erreichen, indem man sich in der Programm- und Arbeitspraxis an veränderte Bedingungen anpasst. Das können veränderte Proben- und Vorstellungszeiten im Theater sein oder auch „saisonales Kuratieren“ in Museen, indem empfindliche Objekte wie Fotos nicht mehr im Sommer ausgestellt werden. Wir hoffen, mit den zwanzig modellhaften Konzepten im nächsten Frühjahr anschauliche Beispiele zeigen zu können, so dass viele weitere Akteure aus Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft von dem Gelernten profitieren können.

Sie hatten auch das Programm zum Thema Diversität angesprochen. Können Sie dazu ein paar Worte sagen?

Schnell: Das Programm läuft seit 2018 und befindet sich jetzt auf der Zielgeraden. In den letzten Jahren haben wir mit knapp vierzig Kulturinstitutionen – Museen, Theatern, Bibliotheken, einer Musikschule und einem Symphonieorchester – gearbeitet und erprobt, welche Strategien am besten funktionieren, um die Mitarbeiterschaft, das Publikum und das Programm vielfältiger zu machen. Wir haben die Institutionen dabei unterstützt, Routinen, Arbeitsweisen zu verändern und künstlerischen Angebote zu öffnen, um gesellschaftliche Gruppen anzusprechen, die sich sonst nicht für Kulturveranstaltungen interessieren. Dazu haben wir Diversitätsagentinnen und -agenten gefördert, die in den Häusern angestellt waren. Sie haben vier Jahre lang mit den Leitungsteams daran gearbeitet, unterschiedliche Communities der Stadt einzubeziehen, das künstlerische Programm zu diversifizieren und das bestehende Personal zu sensibilisieren oder beispielsweise bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zu beraten. Es war ein echtes Pilotprogramm ohne Vorbilder im deutschsprachigen Raum. Dabei haben wir viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die wir im „Diversitätskompass“ zusammengefasst haben. Dieser ist nach wie vor sehr gefragt und könnte auch für Einrichtungen der Kreativindustrie nützlich sein, die sich diverser aufstellen und für neues Publikum öffnen möchten.

An wen richtet sich der Diversitätskompass? Könnten Sie die wichtigsten Learnings zusammenfassen?

Schnell: Ein wichtiger Teil unserer Publikation ist eine Checkliste mit Maßnahmen, die Kultur-institutionen ergreifen können, um sich diversitätsorientiert zu öffnen. Zu jeder Maßnahme haben wir gesammelte Erfahrungen bereitgestellt. Der Erfolg eines solchen Veränderungs-prozesses hängt von vielen komplexen Faktoren ab. Besonders wichtig ist aber auf jeden Fall die Überzeugung und das Commitment der Hausleitung, die das Thema zur Chef-Sache (oder Chefinnen-Sache) machen muss. Sonst wird es mühsam für das restliche Team. Und grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Teams oft mehr Zeit und Geduld benötigen als zunächst angenommen, und gelegentlich mehrere Anläufe erforderlich sind. Wenn beispiels-weise ein Museum gezielt die vietnamesische Community in der Nachbarschaft für eine Aus-stellung über vietnamesische Vertragsarbeiter aus der DDR ansprechen möchte, reicht es nicht aus, einmal spezifisch in der Gegend zu plakatieren. Diversifizierungs-Programme zei-gen ihre Wirkung häufig erst nach längerer Zeit. Um neue Zielgruppen zu erreichen, ist ein langfristiger Vertrauensaufbau entscheidend. Ein echtes Interesse an diesen Gruppen ist un-erlässlich, damit sie sich auch ernsthaft für die eigene Arbeit interessieren. Teilhabearbeit ist Beziehungsarbeit.

Stand: Oktober 2024

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