Navigation

14.11.2024 -

„Wir setzen uns dafür ein, dass Musikschaffende an allen wirtschaftlichen Vorteilen, die durch die Nutzung ihres künstlerischen Schaffens im Rahmen von generativer KI entstehen, angemessen beteiligt werden.“ Interview mit Christina von Gemmingen-Hornberg, GEMA

Einleitung

Christina von Gemmingen-Hornberg

Christina von Gemmingen-Hornberg

© Christina von Gemmingen-Hornberg

Generative KI in der Musik, also die Produktion von Musik durch Künstliche Intelligenz, entwickelt sich zu einem milliardenschweren Markt: Bis 2028 wird ein globales Marktvolumen von über drei Milliarden Dollar erwartet. So das Ergebnis einer Studie von Goldmedia, die im Auftrag der GEMA und der französischen Schwestergesellschaft SACEM im Januar 2024 veröffentlicht wurde. Die GEMA, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, vertritt in Deutschland die Urheberrechte von über 95.000 Komponistinnen, Komponisten, Songwritern und Musikverlagen aus Deutschland. Hinzu kommen fast zwei Millionen Rechteinhaberinnen und -inhaber aus aller Welt. Als erste Verwertungsgesellschaft weltweit hat die GEMA nun einen Lizenzierungsansatz entwickelt, der eine Balance zwischen technologischem Fortschritt und dem Schutz kreativer Arbeit herstellen soll. Im folgenden Interview erläutert Christina von Gemmingen-Hornberg, Leiterin der Abteilung Lizenzierung Sendung und Online / Audio, was es damit auf sich hat.

Frau von Gemmingen-Hornberg, die GEMA möchte mit ihrem neuen Lizenzierungsansatz „eine Balance zwischen technologischem Fortschrift und dem Schutz kreativer Arbeit herstellen“. Inwiefern ist denn diese Balance überhaupt aus dem Gleichgewicht geraten?

v. Gemmingen-Hornberg: Diese Schieflage zwischen technologischem Fortschritt, Kreativleistung und angemessener Partizipation der Musikschaffenden ist schon vor geraumer Zeit entstanden. Die digitale Ära startete ja für die Musikbranche leider zunächst mit großangelegter Piraterie durch Musiktauschbörsen und desaströsen Umsatzeinbrüchen. Es hat dann bekanntermaßen einige Jahre gedauert, bis sie sich entsprechend aufgestellt hat, um dieses Ungleichgewicht etwas auszubalancieren. Heute gibt es Vereinbarungen zwischen großen Digitalplattformen wie Spotify, Apple oder Amazon und den jeweiligen Rechteinhabern, so dass die Erträge aufgeteilt werden – auch wenn es hier auf Seiten der Urheberinnen und Urheber immer noch Optimierungsbedarf gibt, da gerade im inzwischen dominierenden Musikstreaming-Bereich aus unserer Sicht auch heute noch kein wirklich angemessenes Beteiligungsniveau der Musikschaffenden erreicht ist.

Und die Einführung generativer KI-Systeme auf dem Musikmarkt verschärft erneut die Situation?

v. Gemmingen-Hornberg: Ja, wir stehen heute vor einer erneuten Herausforderung, die ungleich größer ist. Wir haben es mit Digitalunternehmen zu tun, die im Grunde das musikalische Weltrepertoire nutzen, um ihre KI zu trainieren mit dem Ziel, eigene KI-generierte Musikkreationen zu produzieren oder Tools hierfür zu schaffen. Das heißt, wir haben hier einen sehr viel früheren Eintrittszeitpunkt, der sich schon in die Erstellung von Musikinhalten vorverlagert und nicht erst bei deren Distribution oder Konsum einsetzt. Die Interessen der Urheberinnen und Urheber bleiben dabei bislang unberücksichtigt. Die Geschäftsmodelle der Digitalunternehmen bauen also auf der Kreativität, der Leistung und dem Talent von Kreativen auf, ohne diese an der Wertschöpfung zu beteiligen. Im Gegenteil: Mit ihrer durch KI erzeugten Musik treten sie auf dem Markt in Konkurrenz zu den von Menschen geschaffenen Werken. Die KI-Studie, die die GEMA zusammen mit der französischen Verwertungsgesellschaft SACEM Anfang des Jahres veröffentlicht hat, zeigt, dass durch generative KI perspektivisch bis 2028 bis zu 27 Prozent der Einnahmen der Musikurheberinnen und -urheber in Deutschland und Frankreich wegfallen oder wegbrechen können. Zwischenzeitlich vorliegende Studien aus anderen Ländern kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Aber KI-Unternehmen sehen sich mit ihren innovativen Technologien quasi als Gamechanger in der Musikbranche.

v. Gemmingen-Hornberg: Sie sehen sich, wie die großen Digitalunternehmen das bereits in der Vergangenheit taten, in der Rolle der Innovationstreiber, die mit ihren Technologien und Geschäftsmodellen vorpreschen. Die Innovationskraft dieser Unternehmen wollen wir auch gar nicht in Frage stellen oder ausbremsen. Aber was wir erwarten und wofür wir uns einsetzen ist, dass die Musikschaffenden an der Wertschöpfung der KI-Unternehmen angemessen beteiligt werden. Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite urheberrechtlich geschützte Werke ohne Vergütung zu Trainingszwecken verwendet werden und auf der anderen Seite die Wertschöpfung aus generativer KI ohne Kompensation bei den KI-Unternehmen verbleibt.

In Form eines innovativen Lizenzierungsmodells, das die technische Innovation der KI-Unternehmen ergänzt?

v. Gemmingen-Hornberg: Richtig! Wir haben ein Zwei-Säulen-Lizenzmodell entwickelt. Die erste Säule dreht sich um das Training von KI-Modellen mit Musikinhalten und richtet sich an alle Anbieter generativer KI-Dienste, die auf dem deutschen Markt tätig sind. Es betrifft also auch ausländische Unternehmen, die ihre KI und die damit neu erzeugten Musikstücke in Deutschland anbieten. Unser Lizenzierungsansatz sieht hier eine Beteiligung von 30 Prozent an den Nettoeinnahmen, die zum Beispiel durch Aboeinnahmen oder andere Erlöse erzielt werden, vor. Und für den Fall, dass keine oder nur geringe Einnahmen erzielt werden, sehen wir eine Mindestvergütung vor. Die orientiert sich an der Menge der KI-generierten Musik.

Ihr Lizenzierungsansatz ist nicht in Stein gemeißelt. Das bedeutet, die Unternehmen können noch Änderungswünsche anmelden?

v. Gemmingen-Hornberg: Mit unserem Lizenzierungsvorschlag haben wir den Ball aufgenommen – die Anbieter sind leider bisher noch nicht proaktiv auf uns zugekommen. Wie bei anderen Verwertungsmodellen auch, unterscheiden sich die Angebote natürlich sehr stark hinsichtlich der technischen Voraussetzungen oder auch des Geschäftsmodells. Deswegen liegt unser Hauptfokus im Moment darauf, mit den Anbietern ins Gespräch zu kommen, um besser ausloten zu können, was sie tatsächlich tun. Damit möchten wir eine verlässlichere Lizenzierungsgrundlage schaffen. Zudem handelt es sich bei unserer Lizenzierungsstrategie um ein adaptives Modell. Das bedeutet, wir müssen nah dran sein am Markt und genau schauen, was passiert, was ist technisch möglich an Nachvollziehbarkeiten, an Überprüfungen, am Nachhalten? Transparenz in Hinblick auf Trainingsdaten und Trainingsvorgänge ist hier oberstes Gebot. Diese erwarten wir von Unternehmen, die generative KI anbieten.

Bietet die derzeitige Rechtslage genug Rückendeckung für Sie, um die KI-Unternehmen zu einer Kooperation – nett gesagt – zu motivieren?

v. Gemmingen-Hornberg: Der AI-Act der EU enthält hinsichtlich der Transparenzpflichten schon gute Ansätze. Da sind wir zusammen mit unseren Partnerorganisationen auch weiter involviert, insbesondere was die Guidelines betrifft, die die EU-Kommission zur praktischen Umsetzung der Verordnung ausarbeitet.
Außerdem hat die GEMA nach geltendem Urheberrecht frühzeitig einen entsprechenden Vorbehalt für die Nutzungen des von ihr vertretene Repertoires zum Text und Data Mining und damit insbesondere für das Training von KI erklärt. Nicht, um Angebote zu verhindern, sondern um darüber geeignete Lizenzmodelle zu entwickeln. So erhoffen wir uns Verhandlungen auf Augenhöhe.

Allerdings hatten wir ja schon eingangs über die Ungleichgewichte und Asymmetrien in der Verhandlungsmacht gegenüber großen Digitalunternehmen gesprochen, welche den jungen Markt generativer KI dominieren und allzu oft auch unter Missachtung des Urheberrechts agieren. Wir brauchen daher für KI einen intelligenten Ordnungsrahmen, der Schritt hält. Dazu gehört neben klaren Vorgaben und wettbewerbsrechtlichen Instrumenten vor allem die Stärkung von kollektiven Verhandlungen, um die Interessen von Betroffenen gegenüber den KI-Unternehmen gebündelt vertreten zu können.

Und wie sieht es mit der zweiten Säule aus?

v. Gemmingen-Hornberg: Da geht es prinzipiell um die Folgenutzung KI-generierter Musik durch Dritte. Ein faires Vergütungsmodell muss dort ansetzen, wo die Wertschöpfung entsteht. Daher darf es sich nicht nur auf das Training eines KI-Modells beschränken oder mit einer Einmalzahlung zufriedengeben. Vielmehr muss auch der Wert berücksichtigt werden, den KI-generierte Inhalte in der Folge im Markt erzielen. Zudem muss die Konkurrenzsituation zu von Menschen geschaffenen Werken einbezogen werden. Funktionelle Musik zum Beispiel. Das ist Musik, die überwiegend im Hintergrund benutzt wird: in Kaufhäusern, in Fahrstühlen, aber auch auf Webseiten oder in Imagefilmen. Diese Musik ist allein vom künstlerischen Standpunkt her gesehen vielleicht nicht so relevant, sie spielt aber dennoch als Einnahmequelle für viele Musikschaffende eine wichtige Rolle. Wenn diese Musik nun nahezu komplett durch KI-generierte Musik ersetzt wird, ist das natürlich ein großer Verlust für die Musikbranche. Und solange die von Menschen gemachte Musik als Grundlage für KI-generierte Musik dient, muss hier ein Ausgleich geschaffen werden. An diesem Ausgleich müssen sich die Unternehmen, die – um bei dem Beispiel zu bleiben – diese KI-generierte funktionelle Musik nutzen und monetarisieren möchten, beteiligen.

Wie ist denn bisher die Reaktion auf Ihren Vorstoß in Sachen Lizenzierung?

v. Gemmingen-Hornberg: Man kann auf jeden Fall feststellen, dass das Interesse sehr, sehr groß ist und unser Ansatz sehr wohlwollend am Markt wahrgenommen wird. Wir bekommen auch viele Rückmeldungen von unseren Mitgliedern. Die finden es gut, dass die GEMA etwas tut. Natürlich ist das jetzt nicht für alle Ewigkeiten in Stein gemeißelt. Dafür entwickelt sich der Markt viel zu schnell, ist viel zu volatil. Aber wir müssen aktiv werden, und zwar jetzt! Anderenfalls wird diese Schräglage, von der wir eingangs gesprochen haben, weiter zementiert mit der Folge, dass es noch schwieriger wird, Partizipationsmöglichkeiten zu entwickeln.

In dem Zusammenhang ist es mir auch noch einmal wichtig zu sagen, dass wir hier die Musikschaffenden vertreten und von diesen mandatiert sind. Die GEMA wird ja manchmal missverstanden im Sinne von: jetzt halten die auch noch die Hand auf. Aber das ist so nicht richtig. Wir haben aktuell über 95.000 Mitglieder. Das sind alles Urheberinnen und Urheber geistiger bzw. künstlerischer Werke und deren Vertreter. Und die GEMA setzt sich im Rahmen der kollektiven Rechtewahrnehmung, zusammen mit anderen Verwertungsgesellschaften, dafür ein, dass sie daran partizipieren, wenn ihre Werke für Geschäftsmodelle Dritter genutzt werden. Ein faires Miteinander, nicht zu existenziellen Lasten von Musikschaffenden. Das ist unser Ziel auch im Zeitalter von generativer Künstlicher Intelligenz.

Stand: Oktober 2024

Weiterführende Informationen