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03.07.2012 -

Crowdsourcing: Know-how und Kapital der Internetcommunity nutzen Interview mit Claudia Pelzer, Vorsitzende des Deutschen Crowdsourcing Verbands

Einleitung

Crowdsourcing: Know-how und Kapital der Internetcommunity nutzen

Der Begriff "Crowdsourcing" setzt sich zusammen aus "Crowd" und "Outsourcing". Kurz gesagt werden dabei innovative und kreative Prozesse, konkrete Arbeitsaufgaben oder auch die Kapitalbeschaffung für unterschiedliche Projekte an die Internetcommunity ausgelagert. Auch wenn die Vorgehensweise wegen der Nutzungsrechte, Marken- und Urheberrechte nicht unumstritten ist, nutzen in den USA bereits viele Unternehmen Crowdsourcing. In Deutschland führt es hingegen noch ein Nischendasein. Warum das so ist und welche Chancen Crowdsourcing bietet, erläutert Claudia Pelzer, Vorsitzende des Deutschen Crowdsourcing Verbands und Mitautorin des Crowdsourcing Reports 2012.

Frau Pelzer, zum Crowdsourcing gehören zum Beispiel Crowdfunding, Crowdcreation, Crowdvoting oder auch Crowdwisdom. Können Sie kurz erläutern, was hinter diesen verschiedenen Begriffen steckt?

Pelzer: Beim Crowdfunding geht es darum, dass die Internetcommunity gemeinsam ein Projekt finanziert. Das können soziale, ökologische oder auch künstlerische Projekte sein. Vom Crowdinvesting spricht man dagegen, wenn es um Unternehmensgründungen geht. Bei Crowdcreation bzw. Cocreation stellt die Community gemeinsam ein kreatives Werk her, zum Beispiel ein Video. Wesentlich komplexer ist der Bereich Open-Innovation, also crowdbasierte Problemlösungen beziehungsweise Prozess- oder Produktverbesserungen. Und beim Crowdwisdom wird die "Weisheit der Vielen" dazu genutzt, Wissen zusammenzutragen oder auch zukünftige Entwicklungen einzuschätzen.

Angenommen, ich sitze als Kreativunternehmer an einer Idee und brauche noch Input. Wie kann Crowdsourcing helfen?

Pelzer: Ich kann zum Beispiel die Masse der Internetnutzer einbinden, um meine Idee oder mein Produkt weiter zu entwickeln und/oder bewerten zu lassen. Das schöne hierbei ist, dass ich mir bereits in einer frühen Phase ein Bild davon machen kann, welche Wünsche und Bedürfnisse meine potenziellen Kunden haben.

In jedem Fall sollte ich mir dabei vorher überlegen, wie ich die Community dazu motivieren kann, mitzumachen. Viele Unternehmen sind leider immer noch im Glauben, dass Crowdsourcing praktisch von alleine funktioniert. Da wird überhaupt nicht gesehen, wie viel Zeit und Mühe die Vorbereitung und kontinuierliche Pflege einer Crowdsourcing-Kampagne erfordert. Eine Community braucht Feedback, Ideen müssen ausgewertet und kommentiert werden. Das ist für die Motivation der Teilnehmer teils noch bedeutender als die Aussicht auf monetäre Vergütung.

Die Internetnutzer liefern Ideen oder Problemlösungen. Ist es dabei auch üblich, dass sie am Umsatz oder an den Verwertungsrechten beteiligt werden?

Pelzer: Hier kommt es darauf an, um was es sich handelt. Sollen beispielsweise Logos mit Hilfe einer Crowdcreation-Plattform entwickelt werden, treten die Ideengeber aus der Crowd die Rechte an den Logos meistens komplett an das Unternehmen ab. Bei Open-Innovation-Plattformen kann dagegen vertraglich vereinbart werden, dass der Name des Hauptideengebers auf der Verpackung erscheint und er einen prozentualen Anteil an den Verkaufserlösen erhält.

Welche Unternehmen nutzen solche Plattformen?

Pelzer: In den USA ist Crowdsourcing schon ziemlich weit verbreitet. Hier sind auch ganz andere finanzielle Größenordnungen im Spiel, so dass schon mal eine Million Dollar als Honorar bereit gestellt werden. Das ist im Vergleich immer noch wenig, wenn man es mit den Forschungs- und Entwicklungskosten großer Unternehmen vergleicht.

In Deutschland ist es bisher vor allem die Kreativbranche, die verschiedene Formen des Crowdsourcing nutzt, nicht zuletzt weil Kreativschaffende ohnehin sehr internetaffin sind. Etablierte gewerbliche Unternehmen sind dagegen noch sehr zurückhaltend. Ich kenne das Beispiel eines Pharmaunternehmens, das eine Open Innovation-Plattform mit dem Ziel betreibt, den Pipettenständer der Zukunft zu suchen. Aber wenn man das mit der Fülle an Plattformen aus dem englischsprachigen Raum vergleicht ist das natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Worauf führen Sie die Zurückhaltung deutscher Unternehmen zurück?

Pelzer: In Deutschland reagiert man in der Regel erst, wenn jahrelange Best-Practice-Beispiele in den USA beweisen, dass die Idee funktioniert. Darüber hinaus sehen eine Reihe von Unternehmen auch Risiken in Verbindung mit Crowdsourcing. Zu den betriebsinternen Widerständen bei der Umsetzung kommen die Angst vor Qualitäts- oder Kontrollverlust, obwohl es zahlreiche Beispiele in den USA gibt, die zeigen, dass es dazu nicht notwendigerweise kommen muss. Dort entwickelt man schon seit längerem Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Hier sieht unser Verband im Übrigen auch eine wichtige Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten und hiesigen Unternehmen Beratung und Hilfestellung anzubieten.

Was kann ein Unternehmen tun, damit eine solche Konstruktion nicht auf Kosten der Qualität geht?

Pelzer: Da gibt es eine Reihe von Lösungsmodellen und Sicherheitsschleifen. Ganze Lehrstühle beschäftigen sich damit, wie man so etwas konstruiert. Einfach gesagt ist es so: Wenn ich die gleiche Aufgabe von drei Leuten bearbeiten lasse und zwei das gleiche Ergebnis haben, kann ich davon ausgehen, dass dieses richtig ist. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Kontrollgruppen.

Welche volkswirtschaftliche Relevanz hat Ihrer Meinung nach Crowdsourcing?

Pelzer: Volkswirtschaftlich gesehen, spielt Crowdsourcing in Deutschland bislang noch eine sehr kleine Rolle. Am bekanntesten sind derzeit Crowdfunding-Plattformen, aber ansonsten befinden wir uns beim Thema Crowdsourcing noch in einer Testphase. Dabei gibt es viele spannende Bereiche wie zum Beispiel das gesamte Micro-Working-Segment. Wenn ein Unternehmen mit sehr großen Adressdatenbanken arbeitet, kann deren laufende Aktualisierung zum Beispiel durch eine große Zahl von Internetnutzern erfolgen. Ein Beispiel: Die Aktualisierung von Adressen oder Öffnungszeiten von Restaurants für Branchenverzeichnisse oder Location-Based-Services. Diese Microjobs werden dann finanziell vergütet. Das sind keine großen Beträge, aber wenn man das komplette Volumen sieht, ist das ein Markt, der nicht zu unterschätzen ist.

Sehen Sie beim Crowdsourcing staatlichen Regelungsbedarf?

Pelzer: Noch ist der Crowdsourcing-Markt in Deutschland relativ jung und ich fände es falsch, in dieser frühen Phase, ein Regelwerk zu installieren. Das kann sich zukünftig natürlich ändern und dann wird es auch Regeln geben müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt muss man aber erst einmal sehen, dass und wie sich das Thema weiterentwickelt.

Den dringendsten Bedarf seitens der Gesetzgebung aktiv zu werden sehe ich derzeit innerhalb der Crowdfundingbranche. Hier wird momentan der Ruf nach einheitlichen, praxisnäheren Regelungen immer lauter.

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