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05.02.2013 -

Sag' mir, wie die Kunden sind. Das Innovationspotenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft

Einleitung

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist Innovationstreiber für eine zunehmend wissensbasierte Ökonomie in Deutschland. Das stellt ein Forschungsgutachten von Prognos AG und Fraunhofer ISI "Die Kultur- und Kreativwirtschaft in der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette" im Auftrag der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung fest. Zudem gibt es Antworten auf Fragen, die sowohl für die künstlerischen und schöpferischen Leistungen der Kultur- und Kreativwirtschaft als auch für "traditionelle" Unternehmen von Bedeutung sind:

Welchen Einfluss hat die Kreativbranche auf die Innovationskraft "traditioneller" Unternehmen?

Natürlich ist jede Unternehmerin und jeder Unternehmer kreativ, auch ohne die Kultur- und Kreativwirtschaft. Ohne Kreativität keine Geschäftsideen, keine Marketingstrategien, keine Exportplanungen. Das Forschungsgutachten von Prognos AG und Fraunhofer ISI zeigt allerdings, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft darüber hinaus ein wichtiger Katalysator für Innovationen und wissensbasiertes Wachstum in zahlreichen "branchenfremden" Wirtschaftsfeldern sein kann: als Querschnittbranche.

Mit Hilfe von Kreativunternehmen entstehen neue Produkte und Marktneuheiten, beispielsweise durch die Neukombination traditioneller Techniken und neuer Prozesse im IT-Bereich: etwa die Realisierung eines Romans durch eine Fangemeinde mittels Crowdsourcing. Neu an solchen Produkten ist dabei seltener eine weiterentwickelte Technologie, sondern vielmehr eine innovative Form der Anwendung des Produkts und daraus resultierend ein neuer Nutzen für den Kunden. Ganz oben auf der Nutzen-Hitliste steht die Anwender- und Bedienerfreundlichkeit gängiger Angebote. Interessant für die Hersteller-Unternehmen ist dabei, dass sich für optimierte Produkte weitere Anwendermärkte erschließen lassen (nicht selten mit Unterstützung neuartiger Vertriebsmodelle).

Wie entstehen diese Innovationen?

Laut Forschungsgutachten unterstützen zwei Drittel der Kreativunternehmen ihre Auftraggeber zu Beginn von Innovationsprozessen, wo es darum geht, Ideen und Konzepte für neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. Dies gelingt beispielsweise dadurch, indem sich Auftraggeber-Unternehmen Wissen aus dem künstlerisch-kreativen Bereich zunutze machen. So können beispielsweise Erkenntnisse aus Heldensagen aus aller Welt auf Change-Prozesse in Unternehmen übertragen werden: Sie lassen sich zu Handlungsmustern verdichten (Heldenprinzip), die die Mitarbeiter dazu motivieren sollen, Neues zu wagen. So ungewöhnlich das vielleicht erst einmal klingen mag.

Als besonders wichtig erweist sich der Perspektivenwechsel, für den Kreative sorgen: eine neue und unverstellte Sicht auf die Bedürfnisse möglicher Zielgruppen. Diese Bedürfnisse zu erkennen und zu vermitteln, schaffen sie dabei häufig besser, als dies womöglich "betriebsblinde" Hersteller-Unternehmen selbst vermögen. Dies gelingt beispielsweise, indem sie das Kaufverhalten von Kunden durch Rollenspiele verdeutlichen (und damit potenzielle Kunden die Prototypen neuer Produkte bereits in einer frühen Phase testen lassen).

Dazu kommt: Kreative sind häufig offener für neue Innovationspraktiken und setzen diese mit ihren Kundenunternehmen um. Ein solcher Ansatz ist beispielsweise die Methode des Design Thinking, mit der sich Kundenwünsche fundierter ermitteln lassen, als das vielleicht auf anderen klassischen Problemlösungswegen möglich ist. Üblich für die Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen ist auch heute noch die "klassische" Marktforschung, die jedoch eher selten zu radikalen Innovationsschritten führt. Produktverbesserungen orientieren sich beispielsweise häufig nur an rein technischen Weiterentwicklungen. Und diese Weiterentwicklungen geschehen mit Blick auf die Wettbewerber, und nicht unbedingt mit Blick auf die Kunden.

Design Thinking dagegen ist eine Methode, mit der in relativ kurzer Zeit radikale Lösungen für Problemstellungen entwickelt werden können. Sie orientiert sich an den Arbeitsweisen von Designern und anderen Kreativen. Dabei steht die multidisziplinäre Zusammenarbeit aller Beteiligten im Vordergrund, die möglichst viele unterschiedliche Perspektiven auf eine Fragestellung garantiert. Ausgangspunkt ist dabei stets eine intensive Auseinandersetzung mit Kunden von Unternehmen und Nutzern von Produkten, deren Bedürfnisse und Feedback die Basis für die Gestaltung der Problemlösungen sind.

Unter dem Strich, so das Forschungsgutachten, können Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft eine wichtige Rolle als (Ver-)Mittler zwischen Branchen, zwischen Nutzern und Produzenten sowie zwischen Technologien und Arbeitsmethoden übernehmen. Sie sind Treiber von Cross Innovation (Zusammenführung von Anwendungsfeldern, die bislang nur wenig in Berührung kamen) und unterstützen damit auch die Zusammenführung von bislang voneinander getrennten Märkten. So können etwa Elemente und Prozesse der Games-Industrie in spielfremde Kontexte Eingang finden: in virtuelle Showrooms, Bedienungsanleitungen für Geräte oder Lern-Tools.

Kreativunternehmen tragen schließlich und endlich dazu bei, neue Produkte und Dienstleistungen auf neue Art und Weise "an den Mann" zu bringen. Dies wird, so das Forschungsgutachten, insbesondere mit Blick auf die Teilmärkte Werbung, Design und Film deutlich. Hier spielt die emotionale Ansprache von Zuschauern, Lesern und Nutzern eine wichtige Rolle. Die Emotionalisierung von Produkten und Dienstleistungen erhöht ihre Wahrnehmbarkeit und kann zu ihrem Alleinstellungsmerkmal werden. In Marktumfeldern mit einem hohen Wettbewerbsdruck ist dies - nach wie vor - von großer Bedeutung. Für digitalisierte Produkte (z. B. eBooks) ebenso wie neue Dienstleistungen (z. B. E-Learning Portale, Web-Design) oder neue Bezahlmodelle (Pay per View, Premium-Kunden usw.) spielt der Einsatz von Web-2.0-Technologien eine immer größere Rolle. Denn jedes Kunden-Feedback ist eine willkommene und kostenlose Unternehmensberatung.

Wie können Kreative mit "traditionellen" Unternehmen ins Geschäft kommen?

Wenn Kreativunternehmen oder auch kreative Einzelkämpfer Unternehmen als Auftraggeber oder Kooperationspartner gewinnen wollen, gibt es dafür verschiedene Wege, sagt Johan Christiaan Peters von der SAP AG. Er hat vor seiner SAP-Anstellung einige Jahre als freiberuflicher Designer gearbeitet. "Für selbständige Kreative ist es wichtig, auf sich aufmerksam zu machen. Auch dabei muss man kreativ sein. Und aktiv. Ich habe Informationsveranstaltungen organisiert, auf denen ich Unternehmen und Behörden in das damals wichtige Thema Accessibility eingeführt habe. Da ging es darum, Webseiten für Sehbehinderte zugänglich zu machen. Damals ein heißes Thema, vor allem bei Behörden. Die Veranstaltungen waren gratis. Wenn die Teilnehmer gemerkt haben, dass sie bei diesem Thema handeln müssen, dass ihnen dafür aber die Expertise fehlt, haben Sie mich nicht selten für einen Auftrag kontaktiert." Außerdem habe er sich, so Peters, in dieser Zeit auch immer wieder einfach bei Unternehmen gemeldet, mit Ideen, wie man deren Produkte verbessern könnte. Wobei man dabei nicht versuchen dürfe, alles schlecht zu reden, sondern erst einmal kleine Brötchen backe sollte. "Wenn die ersten kleineren Ideen richtig gut sind, baut man Vertrauen auf. Und erst dann wird akzeptiert, wenn man größere Änderungen und neue Methoden vorschlägt."

Eine weitere Möglichkeit, auf Unternehmen zuzugehen, ist, dies nicht allein, sondern mit Gleichgesinnten zu tun. Wie zum Beispiel die Mannschaft des Berliner Unternehmens Dark Horse, Preisträger des Wettbewerbs "Kultur- und Kreativpiloten Deutschland", die sich an der School of Design-Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam kennengelernt hat, wie Dark-Horse-Mitarbeiter Sascha Wolff erzählt. "Und dann haben wir uns nach Jobs umgeschaut. Da war nicht viel. Also haben wir uns gemeinsam selbständig gemacht. Das ist auf jeden Fall eine Option für Künstlerkollektive, wie es viele hier in Berlin gibt."

Dark Horse versteht sich als Dienstleister, eine Art Unternehmens- oder auch Innovationsberatung, wie Sascha Wolff sagt. Man berät mittlerweile Firmen weltweit: Automobilbauer, Logistik-Unternehmen, Software-Entwickler. Ratschläge für die Auftragsunternehmen speisen sich dabei aus zwei Quellen: erstens aus der Arbeit mit der Methode des Design Thinking, zweitens aus der Heterogenität des Arbeitsteams. Die 30 Mitarbeiter kommen aus 25 verschiedenen Fachbereichen: sowohl aus den Kreativbranchen, als auch aus Bereichen wie Philosophie, Betriebswirtschaftslehre, Energietechnik, Kommunikation, Maschinenbau usw. Alle zusammen bieten für jeden Beratungsauftrag ein großes Potpourri an Fachwissen und - ganz wichtig - fachfremdem Wissen. "Natürlich ist die Vorgehensweise bei unserer Arbeit strukturiert", sagt Sascha Wolff. "Gleichzeitig ist das Ganze aber hochgradig chaotisch. Und darum geht es. Unser Arbeitsziel ist eben nicht der schnelle Konsens der Fachleute aus demselben Lager. Sondern der permanente Dissens."

Dabei muss man als Kreativer nicht unbedingt Angestellter oder Mitinhaber einer solchen Firma sein. Auch Dark Hose arbeitet projektbezogen immer wieder mit einzelnen externen Querdenkern zusammen. Auf diesem und auch anderen Wegen entstehen so heute immer mehr sogenannte Innovation Communitys: räumlich getrennte Akteure, die über IT-Technologien gemeinsam an (Innovations-)Projekten arbeiten. Innovative und global agierende Unternehmen wie etwa Google, SAP oder Microsoft pflegen heute diesen Arbeitsstil, der vor allem auf Flexibilität und Heterogenität setzt. Und auf Kreative als Teil der virtuellen Mannschaft.

Wie können Unternehmen Kreative "akquirieren"?

Interessierte Unternehmen können solche Beratungsunternehmen als Dienstleister natürlich einfach buchen. Wer es eine Nummer kleiner haben will, kann Kreativ-Workshops im Unternehmen veranstalten und dazu - vielleicht auch nur einzelne - Kreative einladen. "Wenn man Glück hat", so Johan Christiaan Peters, "dann kennt man die vielleicht persönlich. Wenn man keine kennt, muss man sich an die einschlägigen Netzwerke wenden. Oder sich etwas einfallen lassen." So habe sich SAP, da man im heimischen Walldorf kaum Kreative antreffe, entschlossen, dorthin zu gehen, wo die Kreativen sind.

Und zwar ins benachbarte Heidelberg. Johan Christiaan Peters: "Die Stadt stellt ihren Kreativen eine alte Feuerwache zur Verfügung. In dieses Kreativcenter werden ganz unterschiedliche Leute einziehen: Designer, Künstler, Musiker. Ich habe davon gehört, und SAP überprüft derzeit, welche Möglichkeiten damit verbunden wären, hier einen Raum zu mieten. Wir könnten hier unsere Kreativ-Projekte stattfinden lassen. Zusammen mit unseren Kunden. Und unseren kreativen Nachbarn. Eigentlich ganz einfach." Derartige Kreativzentren wie in Heidelberg gibt es übrigens mittlerweile eine ganze Reihe in Deutschland: z.B. das Kölner creative centre 4711, das im ehemaligen Verwaltungsgebäude des Duftwasserherstellers 4711 entstanden ist, oder auch das Dortmunder U: ein Zentrum für Kunst und Kreativität im einstigen Kellereihochhaus der Dortmund Union-Brauerei.

Noch einen Schritt weiter gehen gewerbliche Coworking Spaces. Sie bieten nicht nur Schreibtische mit Internetzugang einschließlich gängiger Büroinfrastruktur zur Miete an: tageweise, pro Monat, dauerhaft. Sie sorgen außerdem dafür, dass ihre Coworker garantiert das finden, was sie in Coworking Spaces in aller Regel suchen: Kontakte und Synergieeffekte. Dazu dienen After-Work-Partys oder auch spezielle Veranstaltungen, bei denen die Space-Nutzer ihre Arbeit vorstellen: um sich gegenseitig zu inspirieren und auch ganz konkrete Arbeitskontakte zu knüpfen. Unternehmen schicken heute daher Mitarbeiter für einzelne Projekte in solche Gemeinschaftsbüros. Oder sie gliedern Teile ihrer Forschung in Coworking-Space-artige sogenannte Innovation-Labs aus, um dort schneller und besser zu Innovationen zu kommen: durch flache Hierarchien, hohe Experimentierfreude und überspringende Funken.

Wer sich auf der Suche nach interessierten Unternehmen oder passenden Kreativen erst einmal "den Markt sondieren" will, kann dafür auch einfach einen Blick ins Internet werfen. So hat eine ganze Reihe von Kreativ-Initiativen Listen ihrer Akteure veröffentlicht: "Lokal" wie in Leipzig: www.kreatives-leipzig.de; "regional" wie in Brandenburg: www.kreatives-brandenburg.de oder Bremen: http://work.klub-dialog.de. Darüber hinaus fachspezifisch, wie es einige Berufsverbände tun, beispielsweise das Internationale Designzentrum (IDZ): www.idz.de. Andere Plattformen versuchen gezielt, Kooperationen von Kreativen mit Kreativen zu stiften. Beispiel in Baden-Württemberg: http://kreativ.mfg.de. Noch weiter gehen Plattformen wie CREATIVE.B2B in Nordrhein-Westfalen: Sie wollen Kreative und klassische Wirtschaftsunternehmen vernetzen. Und zwar ganz gezielt "businessorientiert", wie es ausdrücklich heißt: www.creativeb2b.nrw.de.

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