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07.04.2021 -

Nicht Ersatz, sondern Zusatz: eine neue Art des Kulturerlebens
Interview mit der 1. Vorsitzenden der Clubcommission in Berlin, Pamela Schobeß, und Nic Stockmann von der Plattform Dringeblieben

Einleitung

Mann spielt Gitarre auf der Bühne; Quelle: istockphoto.com/deepblue4you

© istockphoto.com/deepblue4you

Theater und ihren Ensembles ist in der Zeit des Lockdowns ihre Haupttätigkeit verwehrt: nämlich vor Publikum aufzutreten und damit Geld zu verdienen bzw. einzuspielen. Das betrifft auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die zwar weiterhin schreiben können, aber davon abgeschnitten sind, ihre Werke durch Lesungen z.B. in Buchhandlungen bekannt zu machen. Und es geht nicht zuletzt auch um Musikerinnen und Musiker. Wie können sie in der Zeit des Lockdowns dennoch auftreten? Darüber haben wir mit Pamela Schobeß gesprochen. Sie ist 1. Vorsitzende der Clubcommission in Berlin sowie Betreiberin eines Clubs, in dem sie derzeit (nur) Musik-Streamings veranstaltet. Und mit Nic Stockmann von der Plattform Dringeblieben, die Kultur- und Musik-Streamings bündelt und vermarktet.

Findet Musik, die es sonst live vor Publikum gibt, mittlerweile auch im Internet statt?

Pamela Schobeß: Ja, es findet tatsächlich sehr, sehr viel statt. Es gibt zum einen uns Clubs und Clubbetreibende, die versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten ein Kulturprogramm auf die Beine zu stellen. Und das geht im Augenblick nur im Internet – also über Streamings –, seien es DJ-Sets oder Konzerte, die wir aus unseren Läden an unsere Community senden. Damit können wir Musikerinnen und Musiker präsentieren und ihnen eine Plattform geben. Gleichzeitig können wir die Clubs trotz Lockdown ein wenig sichtbar machen, damit man sie nicht vergisst. Und es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Streaming-Plattformen, auf denen man diese und viele andere Konzerte ausstrahlen und abrufen kann.

Für welche Musikerinnen und Musiker kommt Streaming denn in Frage? Auch für Einzelkämpfer oder kleine Bands?

Nic Stockmann: Vor allem zu Beginn der Pandemie gab es oft Konzerte, die von zu Hause mit einer Laptopkamera abgefilmt wurden. Diese Do-it-yourself-Konzerte. Nach unserer Erfahrung war das über die ersten Monate wirklich spannend und hat gut funktioniert. Es entsprach jetzt nicht einem hohen Standard, was Sound und Bild angeht, den man als Live-Zuschauender kennt oder von Profi-Formaten wie arte Concerts. Es waren eher Proberaum- oder Wohnzimmerkonzerte von Künstlerinnen und Künstlern, die durchaus erfolgreich und bekannt sind.

Pamela Schobeß: Ja. Was sollen sie auch sonst machen? Es ist ja auch so, dass es gerade für viele junge Musikerinnen und Musiker, die vielleicht vor einem Jahr einen Fuß in der Tür auf dem Weg in die Professionalität hatten, total schwer ist, wenn jetzt plötzlich die Bühnen für Liveauftritte fehlen. Alle bemühen sich und versuchen, irgendwie nach draußen an die Menschen zu kommen. Was natürlich schwierig ist. Natürlich geht das auch, indem man den Laptop aufklappt, die Kamera anmacht, Mikrofon anmacht und los singt. Am Anfang gab es einen relativ großen Zulauf gerade auch bei diesen Streaming-Formaten und viele, viele Views, wie man so sagt. Aber natürlich war die Soundqualität oft nicht besonders. Und gerade wenn man jemanden zum ersten Mal hört, und dann ist das ausgerechnet ein qualitativ minderwertiger Stream, könnte man auf die Idee kommen: Das ist nichts. Dabei liegt es aber nicht an der Musik, sondern einfach an der mangelnden Soundqualität. Das ist schade.

Stichwort „Standard, was Sound und Bild angeht“: Welcher Standard sollte es denn mittlerweile sein?

Nic Stockmann: Nach meiner Erfahrung lässt sich das nicht pauschal beantworten. Es kommt sehr stark darauf an, um welche Musik und um welche Zielgruppe es sich handelt. Wenn man ein klassisches Konzert abbilden möchte, ist es einfach der Zielgruppe und dem Anspruch der Musizierenden und wahrscheinlich auch der Musik geschuldet, dass man eine gute Tonqualität gewährleistet. Wenn du jetzt aber eine kleinere Band hast, vielleicht auch mit einer jüngeren Zielgruppe, die eher auch mit Akustikgitarren hantiert, dann kann das einen totalen Charme haben, wenn man ein bisschen näher dran ist und so ein Proberaumfeeling vermittelt bekommt.

Pamela Schobeß: Uns ist es wichtig, dass das Angebot qualitativ hochwertig ist: also Licht, Bühnenbild, Tonqualität. Man darf nicht vergessen: Wenn das Bild nicht ansprechend und die Soundqualität schlecht ist, dann sind die meisten Zuschauer heute sofort weg.

Was braucht es für einen qualitativ guten Musik-Live-Stream?

Pamela Schobeß: Man kann solche Live-Streamings mit einfachen Mitteln auch professionell machen. Für eine gute Tonqualität braucht man ein gutes Mikrofon und eine entsprechend gute Soundkarte. Dann: Bin ich gut im Bild? Bin ich gut zu sehen? Ist das Kamerabild scharf? Es gibt verhältnismäßig preiswerte kleine Kameras und Open-Source-Software für solche Produktionen.

Nic Stockmann: Im Idealfall hast du Menschen, die den Ton machen, verschiedene Kameraleute, je nachdem wie viele Perspektiven du haben möchtest, das dazugehörige Equipment usw. Wie bei einem richtigen Konzert oder einer Fernsehproduktion, wenn ein Konzert abgefilmt wird, wie es arte Concerts oder Rockpalast machen. Ratsam ist in jedem Fall stabiles Internet, damit da auch genügend vom Stream rüberkommt

Wie ist das Zuschauerinteresse heute? Gibt es einen Trend?

Nic Stockmann: Den sehen wir auf jeden Fall für das Theater. Es gibt gerade ein riesiges Interesse an digitalen Theaterformaten. Für die arbeiten wir mittlerweile mit renommierten Schauspielhäusern wie. z.B. dem Maxim Gorki Theater, dem Deutschen Theater Berlin, den Münchner Kammerspielen, dem Schauspiel Köln und vielen weiteren zusammen. Für uns ist das gerade der Hauptfokus im Streaming-Bereich.

Pamela Schobeß: Beim Thema Musik hat sich jetzt ein bisschen aufgeteilt. Erstens gibt es natürlich sehr viel mehr Angebote als gerade am Anfang. Und die richten sich zweitens nach unserer Erfahrung eher auf die jeweilige Community. Bei unseren Streamings gucken im Wesentlichen unsere Stammgäste zu, die auch ohne Corona zu uns in den Club kommen.

Was können Musikerinnen und Musiker tun, um über eine Streaming-Plattform angekündigt und gesendet zu werden? Oder auch in den Genuss des professionellen Equipments eines Clubs zu kommen?

Pamela Schobeß: Na ja, bei uns spielen im Wesentlichen natürlich die Künstler und Künstlerinnen, die wir normalerweise live auf die Bühne gebracht hätten. Wir kuratieren unsere Programme ja, wie ein Theater, das sein Programm auf die Beine stellt und entsprechende Schauspielerinnen und Schauspieler verpflichtet. So machen wir das mit unseren Musikerinnen und Musikern. Abgesehen davon ist es jetzt aber im Grunde wie vor Corona auch. Wenn Musikerinnen oder Musiker irgendwo auftreten oder gebucht werden möchten, dann nehmen die natürlich Kontakt auf zu den jeweiligen Locations und stellen sich vor. Oder ihr Management macht das.

Nic Stockmann: Generell haben wir einen klaren Fokus auf professionelle Veranstalter. Man kann aber trotzdem jeden Stream bei uns vorschlagen. Dann wird je nach Kapazität und Inhalt entschieden, ob der bei uns stattfinden kann oder nicht. Was die Kosten für Veranstalter angeht: Wir haben ein Grundangebot und verschiedene „Premium Features“, die ergänzend genutzt werden können. Beim Streaming ist nämlich das Thema Support auch sehr wichtig. Je nach gebuchten Leistungen setzen sich dann die Kosten zusammen. Grundsätzlich kann die Plattform aber auch kostenfrei genutzt werden. Die Spenden und Ticketeinnahmen gehen natürlich an die jeweiligen Veranstaltenden, abzüglich einer gängigen Ticketing-Gebühr.

Wie kommt die Live-Musik per Stream an? Ist sie nur ein Ersatz? Oder vielleicht sogar eine Bereicherung der Musikszene, die auch über Corona hinaus bestehen bleiben könnte?

Pamela Schobeß: Man muss natürlich sehen, dass das Live-Musikerlebnis durch nichts Digitales zu ersetzen ist – jetzt mal unabhängig davon, ob du ein gutes Equipment zu Hause hast oder nicht. Live-Musik und auch Club-Kultur funktioniert nur mit den Menschen zusammen, also im direkten Kontakt. Stell dir vor, du spielst ein Stück zum ersten Mal. Dann guckst du als Künstler oder Künstlerin halt: Wie reagiert das Publikum? An welchen Stellen reagiert es? Tanzen die Leute? Oder kommt gar nichts zurück? Dann weiß man, dass man was falsch gemacht hat. All das funktioniert jetzt gerade nicht. Trotzdem denke ich schon, dass diese Art der Streaming-Kultur auch bleiben wird. Nicht als Ersatz, sondern als Zusatz. Der Vorteil ist ja z.B., dass man über das Streaming auch ein musikalisches Programm aus einer ganz anderen Stadt mitbekommen kann. Das ist natürlich schon total interessant.

Nic Stockmann: Genau. Außerdem erlebst du die Musik direkter, so wie du sie nie mitbekommst, wenn du irgendwo im Publikum sitzt. Du hast verschiedene Perspektiven, die dir angeboten werden. Du bist ganz nah dran. So nah wie sonst nie. Das ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung oder eine neue Art des Kulturerlebens.

Welche Bezahlverfahren habt ihr einrichten können?

Nic Stockmann: Da gibt es und gab es gerade am Anfang die Spendenfunktion. Damit hatten die Zuschauer die Möglichkeit, die entsprechenden Künstler auch monetär zu unterstützen. Wir arbeiten dafür mittlerweile mit einem Support-Ticketing. Man kauft freiwillig ein Ticket. Das andere ist dann die sogenannte Pay Wall.

Pamela Schobeß: Die meisten der Berliner Clubs arbeiten ohne diese Pay Wall, bei der man erst bezahlen muss und dann einen Link bekommt. Weil unser Anspruch aus den Clubs heraus ist, den Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne zu bieten und unsere Communitys anzusprechen. Und das wollen wir so barrierearm wie möglich machen. Sobald du Geld dafür bezahlen musst, hast du eine Barriere. Allerdings rufen wir zu Spenden auf. Da gibt es ganz unterschiedliche Modelle. Beispielsweise eine Art virtuelle Bar. Da kann man virtuelle Getränke kaufen, drei Bier für zehn Euro – das ist dann wenigstens noch ein bisschen lustig. Die Gelder, die so reinkommen, werden dann meistens geteilt zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und der Streaming-Location.

Wenn der Laden voll ist und die Leute tanzen, ist alles okay. Welche Feedbacks gibt es bei Musik-Streams vor leeren Rängen?

Pamela Schobeß: Im Wesentlichen gibt es eigentlich nur die Chat-Funktion der Streams. Da laufen simultan zum Auftritt oder auch noch hinterher Zuschauer-Kommentare ein: oh, toller Track, tolles Musikstück, tolle Platte, Super-Mix. Außerdem kann man natürlich viel auch mit diesen Emojis unter dem Video-Fenster auf seinem Computer arbeiten. Da kann man draufklicken, dann fliegen ein Herz oder applaudierende Hände nach oben. Solche Sachen.

Nic Stockmann: Genau. Es gibt auch die Situation, wo die Musikerinnen oder Musiker sich selbst am Chat beteiligen und Fragen beantworten und so weiter. Das heißt, man kann schon auch in einen Austausch gehen. Aber gegen die Leere ist noch kein Kraut gewachsen. Man könnte auf der Bühne Monitore aufstellen, auf den die Emojis, wenn sie ins Bild flattern, für die Musiker zu sehen wären. Oder Applaus aus der Konserve abspielen. Habe ich aber noch nichts von gehört.

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